: Demokratie in Baku?
ASERBAIDSCHAN Das Land übernimmt den Vorsitz im Europarat. Ambitionierte Agenda
VON BARBARA OERTEL
BERLIN taz | Aserbaidschan hat sich viel vorgenommen. An diesem Mittwoch übernimmt die Kaukasusrepublik zum ersten Mal seit ihrem Beitritt am 25. Januar 2001 für ein halbes Jahr turnusgemäß den Vorsitz des Europarats. Baku wolle alle Anstrengungen darauf richten, die Ziele des Europarats – nach eigenem Verständnis ein Wächter der Demokratie in Europa – in den Bereichen Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu fördern, ist auf der Website der Institution zu erfahren.
Zu den Prioritäten der Regierung Aserbaidschans gehören unter anderem der Kampf gegen Korruption sowie gegen Manipulationen bei Sportwettkämpfen, die Konsolidierung multikultureller Gesellschaften sowie die Erziehung junger Menschen zu verantwortungsbewussten demokratischen Staatsbürgern.
Die Ankündigung, gegen die weit verbreitete Praxis der Bestechung und sonstigem Kuhhandel im Sport vorzugehen, kommt nicht von ungefähr. Im Juni kommenden Jahres wird Aserbaidschan, das sich bereits zweimal vergeblich um Olympische Spiele beworben hatte, die ersten Europaspiele ausrichten – eine Art Euroausgabe des globalen Sportevents, zu der bis zu 7.000 AthletInnen erwartet werden.
Der Vorsitz im Europarat ist weit mehr als von symbolischem Rang. Denn er bedeutet gleichzeitig auch den Vorsitz im Ministerkomitee. Dieser legt die Politik des Europarats fest und ist somit das wichtigste Organ dieser Institution.
Dass ausgerechnet Aserbaidschan ab jetzt für ein halbes Jahr den Hut in Straßburg auf hat, halten Kritiker für geradezu absurd. Seit 1993 wird das Land von dem Klan des amtierenden Präsidenten Ilham Alijew autoritär regiert. Bisher ist keine Wahl demokratisch und fair verlaufen.
Die US-Organisation Committee to Protect Journalists (CPJ) verwies unlängst auf die desolate Situation in Sachen Meinungsfreiheit. So säßen zehn Journalisten aufgrund politischer Anklagen im Gefängnis. Wegen ihrer Onlineaktivitäten seien zudem fünf Blogger sowie acht junge Aktivisten inhaftiert.
Ende April wurde mit Leila Junus eine der bekanntesten aserbaidschanischen Menschenrechtlerinnen vorübergehend festgenommen. Eine Woche zuvor war der regimekritische Journalist Rauf Mirkadyrow, der drei Jahre für die russischsprachige zeitung Zerkalo als Korrespondent in der Türkei gearbeitet hatte, unter dem Vorwurf der Spionage und des Hochverrats festgesetzt worden. Sowohl er als auch Junus setzen sich für einen Dialog zwischen Armenien und Aserbaidschan ein. Beide Länder unterhalten wegen des ungelösten Konflikts um die Enklave Berg-Karabach seit den neunziger Jahren keine diplomatischen Beziehungen.
„Natürlich ist die Übernahme des Europarat-Vorsitzes durch Aserbaidschan nicht unproblematisch, und da kommt man schon ins Grübeln“, sagt Udo Seiwert-Hauti, freier Europa-Korrespondent in Straßburg. Schließlich seien Presse- und Meinungsfreiheit durch die Europäische Menschenrechtscharta geschützt, und zu der habe sich auch Aserbaidschan bekannt. „Aber“, so Seiwert-Fauti, „die neue Rolle Bakus bietet Journalisten auf Pressekonferenzen und Veranstaltungen auch Chancen, endlich den Mund aufzumachen. Nur müssten sie das dann auch wirklich mal tun.“