: Gestatten, emanzipiertes Opfer!
ISLAMKRITIK Frauenrechtlerinnen und ihre Bärendienste: Die Diskriminierung von muslimischen Frauen, ob mit oder ohne Kopftuch, geht über deren Anstrengungen hinweg. Gefragt ist ein Feminismus, der international und solidarisch zu denken versteht
VON SINEB EL MASRAR
Was haben Werbespots, die alle Jahre wieder Bettelgrußkarten mit dunkelhäutigen Kindern bewerben, mit den sensationsfreudigen Islamkritikerinnen zu tun? Beide suchen die Aufmerksamkeit im Namen der Armen und Opfer. Während es den einen darum geht, Geld für das bitterarme und aidsgeplagte Afrika beim Publikum lockerzumachen, wollen die anderen für Ehrenmorde und Zwangsheirat sensibilisieren.
Aufklärung ist nach Meinung dieser Frauenrechtlerinnen nötig. Zu lange habe man die Augen vor dem Leid dieser Frauen verschlossen, der blindmachenden Multikultibrille wegen. Über die Art der Aufklärung lässt sich allerdings streiten.
Wie ließe sich sonst der nicht publik gemachte Protest und Unmut jener Frauen erklären, zu deren Gunsten doch die Islamkritikerinnen rührig werden? Würde man deren Positionen ernst nehmen, würden die Aufklärerinnen aber am eigenen Thron sägen. Wer will sich schon eine neue Aufgabe suchen, wenn mit der gängigen Islamkritik im Namen der muslimischen Frauen ganze Verwaltungsapparate finanziert werden können?
Auf Hilfe zur Selbsthilfe käme es jedoch an, nicht auf Diffamierung. Woran liegt es denn, dass Kinder und Jugendliche aus muslimischen Familien von ihren LehrerInnen unterschätzt werden, dass man sie lieber auf Haupt- und Sonderschulen schicken möchte? RTL-Moderatorin Nazan Eckes oder die niedersächsische Landesministerin Aygün Özkan sind die prominentesten Beispiele für Nichtförderung in Kinderjahren. Mit Klischees ist nichts gewonnen – vor allem nicht gegen Frauen, die ein Kopftuch tragen. Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie Ihr Professor fragt, was Sie eigentlich in der Uni verloren haben, weil Sie doch ohnehin heiraten und fünf Kinder bekommen werden?
Andere Frauen, aus dem Iran, Syrien oder Afghanistan, die ihr Glück in diesem Land versuchen, werden trotz Universitätsabschluss und Berufserfahrung in Hilfsjobs gedrängt. Nicht selten drücken sie erneut die Schulbank oder machen sich selbstständig und etablieren durch ihren Mut und Tatendrang auch ein neues Frauenbild innerhalb der muslimischen Gesellschaft, welches sich allen Vorurteilen zum Trotz positiv auf die Männergeneration auswirkt. Anerkennung ernten sie in der Mehrheitsgesellschaft dafür nicht. Weder heute noch damals in den Sechzigern, als Frauen aus dem Maghreb und der Türkei zum Arbeiten nach Deutschland kamen, während deutsche Frauen dafür noch ihren Mann um Erlaubnis fragen mussten. Superwoman existiert nicht und könnte niemals eine Muslimin sein. Die Frage ist daher nicht, ob und wie emanzipiert muslimische Frauen sind, sondern ob ihr Erfahrungsschatz, ihre Errungenschaften anerkannt werden. Mit ihnen gemeinsam ließe sich im Interesse aller Frauen Gleichberechtigung gestalten. Diese Solidarität würde den europäischen Feminismus glaubwürdig machen, der jahrhundertelang muslimische Frauen von Marokko bis Indonesien ignorierte.
■ Sineb El Masrar, 29, ist Journalistin und Autorin