: Sind unsere Muslime bald die besseren Deutschen?
DEMOKRATIE Wehe, wenn sie wählen gehen: Ja, die Muslime werden unsere politische Landschaft verändern. Aber das müsste eigentlich gerade den Wertkonservativen im Lande gefallen
VON STEFAN WEIDNER
Anders als in Holland, Belgien, Dänemark und der Schweiz hat die Antiislamstimmung in Deutschland noch keine Erschütterung des Parteiensystems bewirkt. Und Thilo Sarrazin scheint – ebenso wie Necla Kelek, Broder, Schwarzer, die anderen publizistischen Wortführer der Bewegung – nicht an eine Parteigründung zu denken: Sie sind eben, Allah sei Dank, Intellektuelle und sich damit zu fein, um sich, igitt, in die Niederungen des Stimmenfangs zu begeben!
Während sich die Angstdebatte um die Frage dreht, ob die politischen und rechtlichen Vorstellungen („die Scharia“) des Islam mit unserer Gesellschaftsordnung zu vereinbaren sind – wobei meist davon ausgegangen wird, dass dies nicht der Fall ist –, wird weitgehend ausgeblendet, dass Muslime unsere politische Landschaft bereits aktiv verändern und in Zukunft noch stärker verändern werden. Und zwar nicht, weil die Mehrheitsgesellschaft ihnen lauter Zugeständnisse machen müsste, sondern im viel direkteren Sinn unmittelbarer demokratischer Teilhabe. Denn immer mehr Muslime besitzen einen deutschen Pass und sind wahlberechtigt, sind Mitglieder etablierter Parteien oder Amtsträger.
Die ultimative Schreckensvision der Antiislambewegung lautet ja, dass die (unterstellte) große Fertilität der Muslime diese in zwei bis drei Generation zur Mehrheit im Land macht, sodass dann auf völlig demokratischem Weg eine muslimische Regierung, womöglich mit einer Zweidrittelmehrheit, den Rechtsstaat zugunsten einer Scharia-Politik aus den Angeln hebt. Nicht „Deutschland schafft sich ab“, sondern die Muslime tun es auf dem ganz legalen Weg über die Wahlurne. Oder?
Es stimmt, dass es Muslime gibt, die glauben, in einem absoluten Sinn wissen zu können, was die Scharia, das islamische Recht, ist. Aber sie geraten damit nicht nur in Konflikt mit ihresgleichen, die dies ebenfalls glauben, aber die Scharia trotzdem anders verstehen (etwa Sunniten versus Schiiten, Sufis versus Salafisten), sondern auch mit denjenigen, die begriffen haben, dass das, was Recht oder Scharia ist, selbst der Politik, persönlicher Deutung und gesellschaftlicher Verhandlung unterworfen ist.
Je mehr Muslime in die demokratische Teilhabe eingebunden werden, desto stärker wird ihr Bewusstsein für das Primat der Politik werden – für die Verhandelbarkeit und Verhandlungsnotwendigkeit des Rechts. Logischerweise gedeiht der Fundamentalismus immer dort, wo die politische Teilhabe nicht stattfindet – in Saudi-Arabien, in Iran, in Ägypten.
Bei uns ist dieses Bewusstsein unter vielen Muslimen jedoch bereits jetzt so groß, dass die Vorstellung, eine Partei könnte alle ihre unterschiedlichen Interessen sammeln, schon jetzt absurd ist. Die Zerstrittenheit der Islamverbände bezeugt dies.
Die Muslime aktiv in die politische Gestaltung unseres Landes einzubinden bedeutet aber auch, bereit zu sein, den konsensfähigen Aspekten des Islams einen größeren Einfluss einzuräumen. Davor kann nur Angst haben, wer glaubt, es stünde bei uns in jeder Hinsicht (wäre nur der Islam nicht!) zum Besten.
Der Islam, so ist zu vermuten, wird in unsere Politik zunehmend Vorstellungen einbringen, die auch viele alteingesessene – und zwar gerade konservative – Deutsche vermissen dürften: die Vermischung des Konservativen und des Sozialen, eine Traditionsbezogenheit, die nicht wie bei unseren Neoliberalen mit einem jede Verantwortung ablehnenden Freibrief für wirtschaftliche Asozialität einhergeht.
Vorstellungen, die Gruppenrechten im Konfliktfall höhere Priorität einräumen als individuellen Rechten; die weniger auf den Staat und mehr auf Eigenverantwortung und -initiative vertrauen; Vorstellungen, in deren Rahmen wirtschaftliche Krisen leichter ertragen werden können als die hektischen Revirements geistig-moralischer Moden, die uns hier im Westen alle fünf bis zehn Jahre eine neue Weltanschauung abverlangen. Und eine aufrichtige Kinderfreundlichkeit und die Bereitschaft, in Kinder zu investieren – gemäß Thilo Sarrazin werden diese Muslime nur die besseren Deutschen sein.
Gerade deshalb übrigens wird mir vieles daran nicht gefallen. Aber ich weiß, dass ich damit nicht schlechter leben werde als mit dem, was mir gegenwärtig in diesem Land nicht gefällt.
■ Stefan Weidner, Jahrgang 1967, ist Chefredakteur der Zeitschrift Fikrun wa Fann (Hg. Goethe-Institut)