: Interview mit einem Toten
NEONAZI Warum ich nach Ansicht des NPD-Funktionärs Jürgen Rieger nicht nach Deutschland gehöre
VON MO ASUMANG
Die Thesen von Thilo Sarrazin in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ sind keinesfalls neu. Ich jedenfalls habe sie schon oft gehört – am deutlichsten, als ich vor etwa drei Jahren den NPD-Funktionär Jürgen Rieger interviewt habe. Ich wollte wissen, warum er bestimmte Gruppen von Menschen hasst. Mir war dieses Thema besonders wichtig, weil die Neonaziband „White Aryan Rebels“ zuvor eine Morddrohung gegen mich ausgesprochen hatte: „Die Kugel ist für dich, Mo Asumang“, sangen sie in einem Song. Für meinen Film „Roots Germania“ traf ich mich also 2007 mit diversen Neonazis. Der inzwischen verstorbene Jürgen Rieger war einer von ihnen. Gleich zu Anfang sagte er mir: „Also ich bin der Meinung, dass die Deutschen in 200 Jahren nicht so aussehen sollten wie Sie.“ Rieger wollte in Schweden Familien suchen, die auf dem Lande – frei von Umweltbeeinflussung, Umerziehung und Drogen – ihr Leben führen.
Mo Asumang: Könnte ich mich als Afrodeutsche da auch melden?
Rieger: Nein!
Warum nicht?
Weil Sie nicht germanischen Ursprungs sind!
Wieso nicht?
Na, gucken Sie mal in ’nen Spiegel. (lacht)
Menschen mit meiner Hautfarbe passten seiner Meinung nach nicht in sein Bild eines Deutschen, und Beziehungen zwischen „Deutschen“ und sogenannten Migranten beschrieb er folgendermaßen: „Das wäre also praktisch das Abschneiden des Erbfadens, das Abschneiden der Wurzel oder so, und das wäre das Schlimmste überhaupt. Bei den Germanen, das geht heute nicht, bei den Germanen wurde so was im Moor versenkt. Das finden Sie heute als Moorleichen.“
Mittlerweile gehe ich mit meinem Film „Roots Germania“ in Schulen und diskutiere mit Schülern über Herkunft, Wurzeln und ob sich Deutschland abschafft. Bei vielen sitzen rassistische Thesen und das Bild vom Blutsdeutschen tief, die die Neonazis und manche andere – bis in die Mitte der Gesellschaft – immer wieder verbreiten. Nach langen Debatten kommt meistens meine etwas provokante Frage an die Schüler: „Und, sind die Germanen auf Bäumen gewachsen?“ Zögerlich kommen wir zu dem Ergebnis: Nein, sie waren Migranten. Deutschland schafft sich also nicht ab, es erfindet sich nur immer wieder neu – in der Vergangenheit, in der Gegenwart und auch in der Zukunft.
■ Mo Asumang, 37, Moderatorin, Schauspielerin und Filmemacherin