„Wir brauchen regionales Geld“

Tauschringe sprießen aus dem Boden, in Hagen und Düsseldorf gibt es regionale Währungen – das Interesse an alternativen Geldsystemen wächst. Die basieren darauf, dass das Geld schnell ausgegeben wird, sagt Wirtschaftsanalytiker Helmut Creutz

INTERVIEW SUSANNE GANNOTT

taz: Herr Creutz, Tauschringe gibt es inzwischen in jeder größeren Stadt, jetzt kommt auch das Regionalgeld in Mode. Haben Sie eine Erklärung für das zunehmende Interesse an alternativen Geldsystemen?

Helmut Creutz: Ich nehme an, es ist vor allem der Unmut über die Krise im großen, regulären Geldsystem, die Angst davor, dass bald alles den Bach runtergeht: Das Gesundheitssystem droht zusammenzukrachen, der Staat ist völlig überschuldet, der Gegensatz zwischen Arm und Reich nimmt stetig zu, die Arbeitslosigkeit steigt immer weiter. Dem will man mit den Regionalwährungen etwas entgegen setzen, die regionale Wirtschaft fördern, einen kleinen funktionierenden Geldkreislauf etablieren. Das ist grundsätzlich erstmal zu begrüßen, auch weil die Leute auf diese Weise etwas über unser Geldsystem lernen und sich überhaupt erst einmal damit auseinander setzen.

Also sind die Tauschringe und Regionalwährungen ein Zeichen zunehmender Verarmung? Sind sie ein Mittel für Menschen mit wenig Geld, um über die Runden zu kommen?

Nein, überhaupt nicht. Erst einmal braucht man in den meisten Fällen ja auch Geld, um es gegen Regionalgeld zu tauschen. Und bei den Tauschringen hat sich schon gezeigt, dass da Arbeitslose kaum mitgemacht haben. Die Idee dazu ging jedenfalls nicht von ihnen aus. Ich denke, den Initiatoren solcher Projekte geht es eher darum, Alternativen zum jetzigen Wirtschaftssystem aufzuzeigen beziehungsweise die regionale Wirtschaft mit Geld zu fördern, das dort im Einsatz bleibt. Darum sind diese Versuche im Prinzip auch zu begrüßen. Der Haken ist nur, dass die Tauschsysteme einfach zu kleinräumig sind. Es machen ein paar Firmen mit, man kann seine Brötchen in Regionalgeld kaufen oder Haare schneiden lassen. Aber solange nicht die Städte oder regionalen Behörden selbst sagen, wir unterstützen das, wird das keine größere Wirkung erzielen.

Die Städte sollten das Regionalgeld selbst einführen?

Ja, sie könnten zum Beispiel sagen, wir bieten unsere kommunalen Dienstleistungen auch in dieser Währung an. Dann bekäme das Regionalgeld schon mal eine breitere Grundlage.

Gibt es irgendwo schon solche Überlegungen?

Meines Wissens nicht. Das ist ja auch ziemlich kompliziert. Viele Dinge funktionieren einfach nicht in Regionalgeld. Zum Beispiel können die Unternehmen ihre Steuern nicht in Regionalgeld bezahlen, Löhne kann man auch nicht damit auszahlen und so weiter. Man braucht also neben dem Regionalgeld immer noch das normale Geld. Aber ein Beispiel, das funktioniert hat, gibt es schon: So hatte in der großen Deflation und Wirtschaftskrise, Anfang der dreißiger Jahre, die Stadt Wörgl in Österreich ein eigenes Notgeld rausgegeben, das mit einer Umlaufsicherung versehen war. Das hieß, man musste an jedem Monatsende eine gebührenpflichtige Marke draufkleben – was natürlich jeder zu vermeiden suchte. Darum gab man es möglichst rasch nach der Einnahme wieder aus und vor Monatsende an die Gemeinde zurück, die ihrerseits zunehmend Aufträge vergeben und damit die Arbeitslosigkeit um ein Viertel abbauen konnte, während sie überall rundum weiter anstieg.

Dieses Prinzip des „Schwundgelds“, das also das Regionalgeld Tag für Tag an Wert verliert, gibt es bei vielen Regionalwährungen. Warum ist das so wichtig?

Weil es beim Geld darauf ankommt, dass es im gleichen Rhythmus ausgegeben oder gespart wird wie man es einnimmt. Jede Unterbrechung verursacht ausfallende Nachfrage, liegen bleibende Leistung und damit Arbeitslosigkeit.

Das Problem an unserem Geldsystem ist also, dass die Menschen ihr Geld unter dem Kopfkissen horten anstatt es auszugeben?

Einmal das, aber das eigentliche Grundproblem ist, dass man das wichtigste Verkehrsmittel, die öffentliche Einrichtung Geld, nach Belieben blockieren kann und es nur dann über die Banken in den Kreislauf zurückgibt, wenn diejenigen, denen das Geld fehlt, dafür eine Prämie zahlen – den Zins. Und der liegt noch dazu viel zu hoch. Denn in gesättigten Volkswirtschaften müsste der Zins eigentlich längst marktgerecht gegen Null fallen.

Linke kritisieren die dahinter stehende Theorie als antisemetisch, denn sie unterscheidet „gutes“ Kapital, das schafft und produziert, vom „bösen“ Kapital, das „rafft“ und sich allein durch Zinsen vermehrt – und letzteres wird gern als „typisch jüdisch“ dargestellt. Was sagen Sie zu dieser Kritik?

Ich habe 40 Jahre in der Wirtschaft gearbeitet, in verschiedenen Branchen, habe mit hunderten von Unternehmern und Geschäftsleuten zu tun gehabt, und alle haben für ihr Geld Zinsen gefordert und in die Preise einkalkuliert, und zwar die Geldverleiher ebenso wie die Sachkapitalbesitzer – und meines Wissens war darunter nur einmal ein Jude. Als Zeitzeuge und Mitbegründer der Alternativen Liste und der Grünen in Aachen bin ich geradezu betroffen davon, dass manche Linke die Zinsfrage immer noch mit den Juden verbinden und damit den Rechten Munition für deren Aktivitäten liefern.

Ein anderer Kritikpunkt der Linken ist, die Tauschringe und Regionalwährungen würden am grundsätzlichen Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit gar nichts ändern, weil sie ja die bestehenden Besitz- und Produktionsverhältnisse nicht antasten. Ist da nicht was dran?

Mit Zinssätzen, die heute marktgerecht in etwa bei der Wirtschaftswachtumsrate liegen müssten, würde sich die Welt gewaltig ändern: Statt der von den Banken täglich kassierten Zinsen von rund einer Milliarde Euro, wären es dann noch nur noch eine halbe Milliarde und statt der 70 Milliarden Zinsen, die heute der Staat jährlich zahlen muss, wären es nur noch etwa 30 Milliarden. Der Staat könnte für das Eingesparte eine Million Menschen einstellen. Und das Wichtigste: Der tägliche Zinstransfer von den Arbeitenden zu den Besitzenden, die von jedem ausgegebenen Euro heute im Schnitt mindestens 40 Cent erhalten, würde auf ein tragbares Maß zurückgehen. Damit wiederum würde auch das weitere Überwachstum der Geldvermögen, das zu entsprechend höheren Verschuldungen und immer neuem Wirtschaftswachstum zwingt, zurückgehen.

Aber kann eine „Marktwirtschaft ohne Kapitalismus“, wie sie sich die Anhänger der Tauschring-Ideen vorstellen, im Großen überhaupt funktionieren?

Laut John Maynard Keynes würde eine Wirtschaft mit umlaufgesichertem Geld – wörtlich – „der vernünftigste Weg sein, um allmählich die verschiedenen anstößigen Formen des Kapitalismus loszuwerden...“ Weiter sagt er: „Es würde einem Menschen immer noch freistehen, sein verdientes Einkommen anzuhäufen, mit der Absicht, es zu einem späteren Zeitpunkt auszugeben, aber seine Anhäufung würde nicht mehr wachsen“.

Was schlagen Sie also vor, was ist zu tun?

Zunächst einmal müssen die Menschen aufgeklärt werden über diese problematischen Mechanismen des Geldes. Solange jeder, der ein Sparbuch hat, noch glaubt, zu den Gewinnern des Systems zu gehören, wird sich nicht viel bewegen. Aber es weiß eben kaum jemand, dass wir mit jedem Euro, den wir ausgeben, rund 40 Cent Zinsen zahlen müssen. Darum hat dieses System eigentlich nur zehn Prozent Gewinner: nämlich diejenigen, die so viel Geld haben, dass ihre Zinsrückflüsse höher sind als die Zinszahlungen.