Zwei Leichen in einem Grab

Am Kölner Schauspiel inszeniert der junge iranische Autor und Regisseur Amir Reza Koohestani zurzeit sein neues Stück „Einzelzimmer“, eine Groteske über Selbstmordattentäter. Ein Probenbesuch

VON HANS-CHRISTOPH ZIMMERMANN

Eingewickelt in ein weißes Tuch, liegt der Schauspieler Lukas Holzhausen in einem schwarzen Kasten, während seine Kollegin Anja Herden fast zärtlich von oben auf ihn einredet. Die beiden spielen die Opfer eines Selbstmordattentats. Während der Mann bereits ein Grab gefunden hat, versucht die junge Frau, ihm seinen Liegeplatz abzuschwatzen. Als alles nichts fruchtet, macht sie ihm einen Vorschlag: Ob man nicht vielleicht auch zu zweit … Ausgedacht hat sich diese groteske Szene der iranische Autor und Regisseur Amir Reza Koohestani, der zurzeit sein neues Stück „Einzelzimmer“ am Schauspiel Köln probt.

Der 28-jährige Koohestani zählt zu den begabtesten Autoren des Iran. Im Januar ist er dem Kölner Intendanten Marc Günther beim Teheraner Theaterfestival begegnet. Man kam ins Gespräch und lotete eine mögliche Zusammenarbeit aus. Da die Diskussion über alte und neue Autoren wenig brachte, bot Koohestani schließlich an, ein neues Stück zu schreiben und auch zu inszenieren. Man einigte sich auf eine „Antigone“-Paraphrase über Selbstmordattentäter.

„Einzelzimmer“ erzählt die Geschichte einer Mutter, die ein Fastfood-Restaurant besitzt. Ihre beiden Söhne sind Zwillinge, der eine arbeitet als Manager des Restaurants, der andere ist Vegetarier und sprengt sich samt Bruder und anderen Gästen in die Luft. Hier setzt das Stück ein: Während der eine Sohn sich dem weiblichen Angebot zum Grabsharing widersetzt, holt die Mutter die Überreste des anderen, des Attentäters, nach Hause und beginnt mit ihm ein absurdes Zwiegespräch. Koohestani glaubt, dass im Westen die Panikmache vor Selbstmordattentaten weit größer ist als die tatsächliche Gefahr. „Solange es jeden Tag in den Zeitungen steht, hat jeder natürlich noch mehr Angst. Und deshalb wollen wir uns lustig machen über Selbstmordattentate und deren politischen Gründe.“

Mit „Einzelzimmer“ arbeitet Koohestani erstmals für eine Bühne außerhalb des Iran. Doch in der internationalen Theaterszene ist er kein Unbekannter mehr. Bereits 2002 war er mit seinem Stück „Dance on Glasses“ beim Festival Theater der Welt zu Gast. Schon hier war Koohestanis Interesse an der quälenden Vereinzelung des Individuums zu erkennen. Ist es in „Einzelzimmer“ die groteske Kontaktsuche von Lebenden und Toten, so zeigt Koohestani in „Dance on Glasses“ den Streit eines Paares, das bei dem Versuch, Nähe herzustellen, sich immer weiter voneinander entfernt.

„Einsamkeit“, so Koohestani, „ist einer der Hauptgründe für die Gewaltausbrüche im 21. Jahrhundert.“ Wie ein Virus frisst sich die Angst vor dem Alleinsein durch die Poren seiner Figuren. Auch die Familie biete da keinen Schutz, sagt Koohestani und erzählt von seiner Inszenierung des kanadischen Stücks „Recent Experiences“, einer Familiengeschichte über vier Generationen, die vor allem von den persönlichen Ängsten, Hoffnungen und Träumen der Figuren handelt. Koohestani hat den Text fast unbearbeitet in ein iranisches Bühnensetting übertragen, um so das Publikum zu zwingen „über beide Kulturen und ihre jeweilige Identität nachzudenken“.

Dieses Kontrastmuster zieht sich durch fast alle Arbeiten des jungen iranischen Autors, sei es in „Einzelzimmer“, „Recent Experiences“ oder in „Amid the clouds“. Immer wieder werden Gegensätze zwischen Lebenden und Toten, eigener Tradition und fremder Kultur, Gegenwart und Vergangenheit konfliktträchtig miteinander verschränkt. Am deutlichsten vielleicht in „Amid the clouds“, das die Situation von Emigranten in Europa und ihre Zerrissenheit zwischen Heimat- und Gastland dramatisiert. „Eine surreale Situation, in der Vergangenheit und Gegenwart sich miteinander verbinden“, sagt Koohestani.

Dass er in seinen Stücken auch über Sexualität spricht – so will die Frau in „Amid the clouds“ ein Kind, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen –, machte ihre Inszenierung nicht einfach. Da Frauen und Männer sich auf iranischen Bühnen nicht berühren dürfen, ließ Koohestani die Szene in einem Doppelstockbett spielen, bei dem die Matratzen durch Lattenroste ersetzt waren, durch die man die Hand strecken konnte.

Ohne genauer auf die politische Situation einzugehen, spricht Koohestani von „Beschränkungen“, mit denen man leben lerne. In der Zehnmillionenmetropole Teheran gebe es gerade einmal acht bis zehn Theater, die wenigsten davon mit professionellen Ensembles. Auch die Schauspieler der Mehr Theatre Group, mit der Koohestani bisher alle seine Stücke erarbeitet hat, verdienen ihr Geld hauptsächlich bei Film und Fernsehen, sodass tägliche Proben gar nicht möglich seien. Auf die Frage, ob er denn sein Stück „Einzelzimmer“ auch im Iran zeigen werde, reagiert Koohestani zurückhaltend. Zwar hätten die Schauspieler der Mehr Theatre Group und das Teheraner Theaterfestival bereits Interesse angemeldet, „doch ich bin nicht überzeugt“. Mit seinen ironischen Anspielungen auf Fastfoodrestaurants, Vegetarier oder geklonte Schafe sei das Stück für ein europäisches Publikum geschrieben. Ob allerdings die hiesigen Besucher wirklich bereit sind, über Selbstmordanschläge zu lachen, wird sich morgen bei der Premiere am Kölner Schauspiel zeigen.

“Einzelzimmer“ von Amir Reza Koohestani hat am 17.11. Premiere in der Schlosserei vom Schauspiel Köln