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Archiv-Artikel

„Auch ein Abbild der Seiten“

PRÄSENTATION Die Staats- und Unibibliothek stellt Digitalisierung historischer Adressbücher vor

Von EIB
Maria Elisabeth Müller

■ 51, Sozialwissenschaftlerin und wissenschaftliche Bibliothekarin, seit 2006 Direktorin der Staats- und Unibibliothek.

taz: Frau Müller, was lässt sich aus den Adressbüchern lernen?

Maria-Elisabeth Müller: Man kann in den historischen Adressbüchern die Stadtentwicklung verfolgen und zwar in einer langfristigen Perspektive von 1794 bis 1955. Zum Beispiel lässt sich anhand der Straßenverzeichnisse ablesen, welche Person zu welchem Zeitpunkt wo gelebt hat. Aus dem Beruf und der Anzahl der Personen im Haushalt lässt sich verfolgen, wie die Bevölkerung in einem Viertel zusammengesetzt war und wie sich die Straße oder der Stadtteil im Laufe der Zeit gewandelt hat.

‚Beruf‘ meint den des Mannes?

Ja, noch bis in die 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurden nur die männlichen Haushaltsvorstände dokumentiert. Nur wenn diese starben und die Witwen alleine Bewohnerinnen des Hauses waren, wurden die Frauen genannt.

Welche Angaben befinden sich noch in den Büchern?

Es gibt Branchen- und Gewerbeverzeichnisse, auch Behörden, Schiffs- und Ladeverzeichnisse sind eingetragen. Zudem gibt es viele Zusätze, die einen Überblick über die Stadtgeschichte ermöglichen wie die historischen Torschließzeiten oder auch die Kosten der Briefbeförderung.

Sind die Originale noch lesbar?

Einige waren nur noch auf Mikrofilm vollständig zugänglich, weil die Bände so stark beansprucht wurden, dass Seiten oder ganze Passagen fehlen. Die Adressbücher sind ja Ausleihrenner. Hoch interessant sind sie für die Historiker, für Sozial- und Kulturwissenschaftler, aber auch für Familienforscher.

Verlieren sie nicht viel vom Reiz durch die Digitalisierung?

Nein, ich glaube nicht. Sogar die Perspektive des zufälligen Findens bleibt bei der Suche im Portal der Digitalen Sammlungen erhalten, weil es immer auch ein Abbild der Seiten gibt, nicht nur eine Trefferanzeige in einer Suchmaschine. Und während der Digitalisierung haben wir auf größtmögliche Vollständigkeit geachtet.

Haben Sie einen persönlichen Bezug zu den Büchern?

Ja: Als ich 2006 nach Bremen gezogen bin, habe ich nachgeschaut, wer in meinem Haus, meiner Straße vor mir gewohnt hat, wie sich die Bevölkerungsstruktur seit dem 2.Weltkrieg verändert hat und dann noch einmal, welche Veränderungen es in den 1970er-Jahren gab. Das hat mir geholfen, mich neu zu verorten. Interview: EIB

16.30 Uhr Haus der Wissenschaft, Sandstraße 4/5