: „Man will die Reaktionen testen“
INTERESSEN Der Südostasienexperte Gerhard Will über die Hintergründe des Konflikts und die Gefahren des wachsenden Nationalismus in China und Vietnam. Dort stehen die Regierungen unter Druck vonseiten der eigenen Bevölkerung
■ 65, arbeitete bis Ende 2013 als Südostasienexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
taz: Herr Will, warum explodiert die Gewalt gerade jetzt?
Gerhard Will: Offenkundig steckt in diesen Gesellschaften sehr viel Gewalt. Zudem ist das Verhältnis der beiden Länder zueinander immer ambivalent gewesen: Auf der einen Seite war China seit vielen Hundert Jahren für Vietnam Vorbild. Auf der anderen hat sich Vietnam gerade in den Auseinandersetzungen mit dem großen Nachbarn zur Nation entwickelt – jedes vietnamesische Schulkind hat über die Schlachten zu lernen, die man gegen China geschlagen hat.
Wer hat denn ein Interesse daran, den Konflikt zu schüren?
Ich denke, China versucht nach der jüngsten Asienreise von US-Präsident Obama zu testen, wie weit die Unterstützung der USA für die Region eigentlich geht und wie groß die Solidarität innerhalb Südostasiens ist.
Bei der jüngsten Gipfelkonferenz der südostasiatischen Länder hatte Vietnam versucht, Rückhalt für seinen Standpunkt zu gewinnen.
Die Unterstützung war aber eher lau. Ich sehe im Vorgehen Chinas, eine Ölplattform in das umstrittene Gewässer zu ziehen, weniger wirtschaftliche Gründe – an dieser Stelle im Meer ist gar nicht so viel Öl zu holen. Das Motiv ist vielmehr politisch: Man will die Reaktionen testen.
Beide Länder werden von einer Kommunistischen Partei regiert – wieso können die sich nicht einigen?
In beiden KP-regierten Ländern hat die kommunistische Ideologie an Attraktivität verloren. Stattdessen setzen beide zunehmend auf den Nationalismus – und da spielt die Verteidigung der territorialen Integrität eine zentrale Rolle. Beide Regierungen – die chinesische wie die vietnamesische – sind hier unter ungeheurem Druck vonseiten der eigenen Bevölkerung. In den Chatrooms des Internets wird immer wieder lautstark gefordert, die nationalen Interessen rigoros zu verteidigen.
Wie geht es weiter?
Ich glaube nicht, dass die Lage so weit eskaliert, dass sie in eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen beiden Ländern mündet. Aber es ist eine sehr schwierige Situation, aus der man nicht so leicht rauskommt, will man nicht die Legitimation vor der eigenen Bevölkerung verlieren. Bei den Konflikten wird immer so viel über die Konkurrenz um wirtschaftliche Ressourcen geredet. Viel wichtiger ist aber die Frage der Herrschaftslegitimation durch Nationalismus.
Das ist in beiden Ländern gleich?
Ziemlich ähnlich. In Vietnam spielt der Druck von antikommunistischen Gruppen wohl noch eine größere Rolle. Diese werfen der Regierung vor, Vietnams KP verrate die nationalen Interessen und mache Kumpanei mit den Genossen in China, nur um an der Macht zu bleiben. Aber auch in chinesischen Chatrooms wird der Regierung Verrat nationaler Interessen vorgeworfen. INTERVIEW: JUTTA LIETSCH