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Archiv-Artikel

Herr Schuster wird rot

EUROPAWAHL Sechs Kandidaten debattieren in der Bürgerschaft über die Zukunft der EU zwischen anspruchsvollen Visionen und Mühen des Alltagsgeschäfts

Von BES
Die SPD ist hier auf einem strikten Nein-außer-wenn-Kurs, der ein Ja nicht ausschließt

Knallrot wird Joachim Schuster plötzlich, und sein Kopf sackt etwas tiefer zwischen die Schultern. Schuster, Europakandidat der Bremer SPD, ist letzter in der letzten Rederunde des Sechsparteien-Talks zur Europawahl im Haus der Bürgerschaft, und jetzt muss er sich wegen der Fragen doch noch mal zu Investorenschutzabkommen äußern. Aber rot und SPD passt ja zusammen. Und letztlich: Hier wird die Wahl nicht entschieden.

Während der HSV versucht zu überleben, ohne dafür zu kämpfen, steigt im trüben Ambiente von Sitzungssaal 1 der Bremischen Bürgerschaft eine Art Showdown zur Europawahl am 25. 5.: Grauschleiergardinen, blasses Licht, „ist das aber eine traurige Veranstaltung!“, entfährt’s ganz spontan einem der Besucher im Reinkommen. Stimmt aber so gar nicht. Es ist sogar ein vergleichsweise munterer Talk: Sechs Parteien mit Bremer KandidatInnen gibt’s diesmal, so viel wie nie. Infolge einer Panne mit der Einladung (taz berichtete) ist anstelle der Bremer Piratin Martina Pöser spontan deren bundesweite Frontfrau Julia Reda eingesprungen. Sie sitzt ganz rechts. Die andere Außenposition nimmt Sophia Leonidakis (Die Linke) ein. Klar ist Helga Trüpel (Grüne), aktuell einzige Bremer EP-Abgeordnete, da, Magnus Buhlert nutzt die Chance, das FDP-Fähnchen zu schwingen und sogar Carl Kau kommt: Das ist der chancenlose CDU-Kandidat, der bundesweit Beachtung fand, als er Anfang Mai den Wahlkampf-Auftritt von Kanzlerin Angela Merkel in Bremerhaven schwänzte. Das vom Veranstalter, der Europa-Union Bremen gesetzte Thema, die Frage nach dem „demokratischen Miteinander in Europa“ erzeugt kaum knallige Kontroversen. Reda nutzt die Chance am besten. Die Piraten haben in der Systemfrage aber auch die radikalste Position: Die oft vermisste europäische Identität werde erst durch „eine europäische Wahl“ geschaffen, „die brauchen wir, statt 28 nationaler Wahlen“, ein europäischer Bundesstaat. Realistisch ist das nicht. Aber ein Ziel, wo sich die anderen mit den spröden Alltagsgeschäften mühen, wie Trüpel, von Adenauer schwadronieren oder Opfer-Geschichten erzählen. Und die FDP lehnt eine Steuer-Union ab.

Schuster hat es schwer, weil sich der Schwerpunkt des Europawahlkampfs und auch der Runde im Bürgerschafts-Sitzungssaal nach und nach auf Fragen nach dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen EU und USA verlagert, TTIP, mit seinen Chlorhähnchen-Ängsten und unkontrollierbarem Lobbyisten-Einfluss. Und während die anderen sich, unterkomplex, als Befürworter (CDU und FDP) und Gegner (Grüne, Linke, Piraten) outen, verfolgt die Sozialdemokratie hier einen entschiedenen Nein-außer-wenn-Kurs, der ein Ja nicht ausschließt. Er muss also erklären, warum die SPD im Wahlkampf gegen außerstaatliche Sondergerichtsbarkeit bei Investitionsschutzabkommen auftritt, ihre EP-Abgeordneten denen aber Mitte April fast ausnahmslos zugestimmt haben. Das fällt schwer: „Ob das politisch klug war, sei einmal dahingestellt“, räumt der Ex-Staatsrat am folgenden Tag auf Nachfrage ein. Der Entscheid sei jedoch „kein Präjudiz für TTIP“, beharrt er. Er betreffe auch nicht das kurz vorm Abschluss befindliche Freihandelsabkommen mit Kanada, CETA. Am Abend hatte Schuster gar gesagt, „der Beschluss bezieht sich nur auf bereits bestehende Abkommen“, aber das erweist sich als Irrtum, denn im Parlamentsdokument steht ja ganz im Gegenteil, dass er „future Union agreements“ regele. Also künftige Abkommen. Wie Schuster tags darauf erläutert, hatte er „den genauen Text nicht gelesen“. Zweifel an seiner oder der SPD-Haltung diesbezüglich dürfe es aber nicht geben: „Da steht fest“, verspricht er, „dass ich das ablehne“.

Gut, dass das geklärt ist.  BES