: Auf dem Rat Walk
FUSSBALL SCHLÄGT FASHION
Die Fashion Week muss, wie am Dienstag bekannt wurde, umziehen: Wegen der Terminkollision mit der WM-Fanmeile wird am Brandenburger Tor im Juni und Juli König Fußball statt Prinzessin Essstörung regieren. Die hat ihren Ausweichort zum Glück bereits gefunden: Das Erika-Heß-Eisstadion im unterprivilegierten Ortsteil Wedding.
Nach außen hin zeigen sich die Modeleute nicht darüber beleidigt, dass man ihnen eine Horde postfaschistischer Saufbarbaren vorzieht, nur weil die besseren Umsatz versprechen. Laut Jarrad Clark, Vizepräsident des Ausrichters IMG Fashion, liegt der Vorteil des neuen Standorts sogar darin, „dass er uns Raum für Kreativität lässt, uns herausfordert, über die Routine in der Gestaltung hinauszudenken.“
Gute Verlierer also, die, was ohnehin nicht mehr zu ändern ist, als Chance zu begreifen wissen. Man wird den Wedding als Gastgeber begrüßen, dem man ein völlig neues Konzept zu Füßen legt. Der Eintritt ist frei, vor dem Stadion werden Hüpfburgen für die Kinder und Bierbänke für die Erwachsenen aufgebaut. Auf dem Schwenkgrill verkohlen Rostbratwürste und „Laufsteaks“. Die IMG wird den Ortswechsel konsequent für ein lokaltypisches Branding nutzen, das der Veranstaltung einen geerdeten Charakter verleiht. Auch in der Halle selbst herrscht Volksfeststimmung. „Ausziehen“, röhrt die Menge selbst bei Kreationen, wo das kaum noch möglich ist. Ein erfrischender Kontrast zur sterilen Atmosphäre früherer Modemessen.
Doch die Rufe verstummen rasch. Denn den Weddingern zu Ehren erhöht sich im Laufe der Veranstaltung das Lokalkolorit auch bei den Models und den Modestrecken. Statt angezogener Spargelstangen präsentieren auf dem so umbenannten Rat Walk erfrischend natürliche Damen aus der Nachbarschaft die Jogginghosen der Saison in den Marken bekannter Weddinger Designer: Kevin Klein, Yves Saint Clochard, Fucci, Murat Öztürk.
Die messeeigenen Kosmetikerinnen stellen sich kreativ den ungewohnten Herausforderungen: Welcher Lippenstift passt zu braunen, welcher zu gar keinen Zähnen? Das Publikum geht mit, es gibt erste Schlägereien. Die Fashion Week ist endgültig in ihrer neuen Heimat angekommen.
So wird es sein. Ob zur selben Zeit auf der Fanmeile Grazien in schwarzrotgoldenen Cocktailfummeln einander grölend Plastikbecher mit Champagner über den Kopf schütten, während auf der Riesenleinwand Jogis Ballett zum Sieg tanzt? Wir werden sehen. ULI HANNEMANN