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Archiv-Artikel

Die Knigge-Frage

DARF MAN GÄSTEN IHREN MITGEBRACHTEN WEIN ANBIETEN?

Wer sich seinen Kopf über derartiges zermartert, steht seinen Gästen wohl noch nicht allzu nahe. Da scheint es hilfreich, überhaupt zu trinken. Im Alkohol lösen sich ernste Gedanken wohlig auf. Freiherr von Knigge sah im gemeinsamen Alkoholkonsum ein „Erweckungsmittel“, um „in trüben Augenblicken den natürlichen guten Humor unter dem Schutte von häuslichen Sorgen hervorzurufen“. Nicht nur Humor lässt sich so freischaufeln. Das Trinken erweckt mitunter tiefere Bedürfnisse, die ungehemmter auf die Wünsche der Mittrinkenden treffen. Der Freiherr selbst kannte „die wohltätige Würkung dieser herrlichen Arzenei aus dankbarer Erfahrung“.

So hat wohl jeder seine Erfahrung. Meine ist aus der Ukraine. Im Juni 2012 fahre ich mit zwei Freunden zur Fußball-EM. Wir wohnen bei einer Familie in einem Dorf nahe Lwiw, durch das sich eine erdige Straße schlängelt. An unserem letzten Abend überreichen wir der Familie dankbar eine Flasche Schnaps und wollen ins Bett, wir müssen früh los, eigentlich. Aber is nich. Binnen Minuten ist der Tisch der winzigen Küche mit Köstlichkeiten aus dem Garten und Kristallgläsern gedeckt. Der Vater besteht darauf, das Geschenk mit uns Gästen zu teilen. Prost! Mit jedem neuen Glas wird angestoßen, als sei es das erste oder letzte überhaupt. Als die Flasche leer ist, holt der Vater, Eisenbahner, Selbstgebrannten, später noch einen, als wir uns längst in den Armen liegen.

Nächster Nachmittag: Mutter hat Brühe aufgesetzt, die Familie sich zum Abschied versammelt. Wir winken durchs Heckfenster, die Kopfschmerzen vergessend.

Was ließe sich daraus lernen? Mit Knigge gesprochen: „Man suche bei Bewirtung eines Fremden oder eines Freundes, weniger Glanz als Ordnung und guten Willen zu zeigen.“ Also: Man sollte einem Gast, der eine Flasche Alkoholisches schenkt, davon einschenken, früher oder später.

CHRISTOPH FARKAS

Diese Frage schickte uns taz-Leser Ulrich Meyer. Haben Sie eine Benimm-Frage? Mailen Sie an: knigge@taz.de