: Wahlen im Kosovo zeigen ein Land in politischer Bewegung
KOSOVO Am Sonntag wird gewählt: Neue Parteien wollen die Macht der Etablierten infrage stellen
VON ERICH RATHFELDER
SARAJEVO taz | Bei den Neuwahlen im Kosovo am kommenden Sonntag, den ersten seit der Unabhängigkeit 2008,könnte das bisherige Parteiensystem kräftig durcheinandergewirbelt werden. Die Wahlen waren wegen des Rücktritts des Staatspräsidenten Fatmir Sejdiu und des Auseinanderbrechens der bisherigen Koalition notwendig geworden.
Teilnehmen soll vor allem die junge Generation, wenn es nach den Wünschen neuer Parteiformationen der Albaner geht. Über 50 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 26 Jahre und im bisherigen Parteiensystem unterrepräsentiert. Zum ersten Mal wird die bisherige außerparlamentarische Bewegung „Selbstbestimmung“ (Vetevendosje) an den Wahlen teilnehmen, deren Mitgliedschaft zumeist aus Studenten besteht. Laut Umfragen kann sie mit 15 Prozent der Stimmen rechnen.
Ihr Spitzenkandidat, der ehemalige Studentenführer Albin Kurti, gehört zu den schärfsten Kritikern der Korruption und der sozialen Desintegration der Gesellschaft und hat die bisherige Führungsschicht, aber auch die internationalen Organisationen immer wieder scharf kritisiert. Gerade aus serbischer Haft entlassen, wurde er nach 2006 zweimal von der UN- und später der EU-Polizei verhaftet und wegen der Organisation von Demonstrationen in Prishtina zu Gefängnisstrafen verurteilt.
Die Gruppe Selbstbestimmung will Kosovo demokratisieren, die Korruption und Mafia bekämpfen und das Sozialsystem erneuern. Auch die von Intellektuellen neu gegründete Partei Fryma e Re (FAIR) des Harvard-Absolventen Shpend Ahmeti rechnet sich Chancen aus, ins Parlament zu kommen. Sollte es gelingen, die Masse junger Leute tatsächlich zu dem Wahlgang zu mobilisieren, könnten beide Parteien noch mit höherem Zuspruch rechnen.
Nach Umfragen liegen die bisherigen Regierungsparteien, die Demokratische Partei Kosova (PDK) des bisherigen Ministerpräsident Hashim Thaci und die Demokratische Liga Kosova (LDK), weiterhin mit knapp 30 Prozent der Stimmen vorne. Mit Isa Mustafa, dem Bürgermeister von Prishtina, hat die LDK einen populären Spitzenkandidaten aufgestellt.
Auch bei der serbischen Minderheit scheinen die Dinge in Bewegung zu geraten. Ein beträchtlicher Teil der serbischen Bevölkerung will gegen den Widerstand serbischer Nationalisten an den Wahlen des unabhängigen Staates teilnehmen – und das bedeutet implizit die Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo. Immer mehr Serben, vor allem in den Gemeinden des Südens, wollen nicht mehr abseitsstehen und ihre Rechte im neuen Staat wahrnehmen. 10 Sitze in dem 120-köpfigen Parlament sind ohnehin für Serben reserviert, ebenso 10 für die anderen Minderheiten zusammengenommen.
In den Gebieten, die direkt an Serbien grenzen, wollen nationalistische Kräfte mit allen Mitteln die Teilnahme der serbischen Bevölkerung an den Wahlen verhindern. Mit welch harten Bandagen vorgegangen wird, zeigt der Fall von Sefko Salkovic. Der Mann, der vier bosniakische Dörfer vertrat und sich für die Teilnahme an den Wahlen einsetzte, wurde am letzten Mittwoch ermordet.
Der wahrscheinlich von serbischen Extremisten begangene Mord wirft zudem ein schlechtes Licht auf die Vertreter der UN in dieser Region. Denn kurz vor dem Mord hatte ein russischer UN-Mitarbeiter Salkovic zu einer Revision seiner Position überreden wollen.