: Familienziel Bürgerkrieg
Als erstes Bundesland will Hamburg in der kommenden Woche Familien nach Afghanistan abschieben. Auch schulpflichtige Kinder sollen kurz vor ihrem Abschluss ausgewiesen werden
VON MARCO CARINI
Den Kompromiss zum Bleiberecht hat er noch abgewartet. Doch jetzt, unmittelbar nach der Einigung, plant Innensenator Uwe Nagel (parteilos) noch in der laufenden Woche mit der Abschiebung der afghanischen Familien zu beginnen. Am morgigen Dienstag und am kommenden Freitag sollen nach Informationen der taz die ersten beiden Familien nach Kabul ausgeflogen und damit in ihr Heimatland „zurückgeführt“ werden. Über das Schicksal von zwei weiteren afghanischen Familien wird der bürgerschaftliche Eingabeausschuss am heutigen Montag beraten, auch hier droht eine kurzfristige Abschiebung.
Mit der geplanten Abschiebung der Familien setzt sich Hamburg erneut an die Spitze der abschiebenden Länder. „Mir ist kein einziges Bundesland bekannt, das afghanische Familien abschiebt oder das konkret plant“, erläutert die flüchtlingspolitische Sprecherin der GAL-Fraktion, Antje Möller. Doch mit den jetzt geplanten Abschiebungen übernimmt die Hansestadt nicht nur eine fragwürdige bundesweite Vorreiterrolle, sie bricht auch eigene Zusagen. So hatten erst im vergangenen Monat Bildungssenatorin Alexandra Dinges-Dierig und CDU-Schulexperte Robert Heinemann im Rahmen der „Schul-Meldepflichtdebatte“ verkündet, das möglichst allen schulpflichtigen Kindern von Familien mit unsicherem Aufenthaltsstatus die Chance gegeben werden solle, in Hamburg zu bleiben, bis sie ihren Schulabschluss gemacht haben. Doch der 17-jährige Sohn der Familie S., die am kommenden Freitag nach Kabul ausgeflogen werden soll, steht unmittelbar vor dem Hauptschulabschluss, und auch die 14-jährige Tochter besucht regelmäßig die Schule.
Rund 100 bis 150 afghanische Familien leben derzeit in der Hansestadt. „Die meisten von ihnen sind noch keine sechs Jahre hier, fallen somit nicht unter die neue Bleiberechtsregelung“, weiß Möller. Doch ungeachtet des umstrittenen Regelwerks ist die Abschiebung nach Afghanistan aufgrund der dort herrschenden Verhältnisse umstritten. Eine in weiten Teilen des Landes desaströse Gesundheitsversorgung, Bürgerkrieg und Anschläge gefährden das Leben der Abgeschobenen.
„Im Norden und Süden des Landes wird gekämpft, in Kabul sind Attentate an der Tagesordnung“, fasst Torsten Buschbeck die Situation zusammen. Deshalb habe er „keine Ahnung, wer sicherstellen soll, dass meine Mandanten dort überleben können“, sagt der Anwalt.
Allein im laufenden Jahr Jahr hat eine englische Studie über 100 bewaffnete Angriffe auf afghanische Schulen, Lehrer und Schüler gezählt. Insgesamt wurden Presseberichten zufolge allein in diesem Jahr rund 2.000 Menschen im Rahmen gewaltsamer Auseinandersetzungen und infolge von Bombenanschlägen getötet. „All dies macht deutlich, dass Abschiebungen nach Afghanistan nicht zu verantworten sind“, klagt Antje Möller.
Doch im September hatte die CDU-Bürgerschaftsmehrheit einen von der SPD unterstützten GAL-Antrag abgelehnt, „aus humanitären Gründen“ zumindest für sechs Monate – über den harten afghanischen Winter – Abschiebungen in das Bürgerkriegsland auszusetzen. Anders als SPD und GAL sieht die Innenbehörde „keine generellen Abschiebehindernisse“.