: Kindern das Lachen verbieten
Eine Lärm-Klage gegen einen Waldkindergarten ist vorerst vertagt worden, das Gericht mahnt Einigung an. Der Hamburger Senat feilt derweil an einer Kinderlärm-Verordnung
VON MARCO CARINI
Kinder toben, lachen, schreien. Wie in hunderten anderen Kitas geht es auch im Waldkindergarten Kokopelli, dessen 22 Schützlinge sich den ganzen Tag im Berner Wald in Hamburg an der frischen Luft aufhalten, mitunter turbulent zu. Doch geht es nach einem Nachbarn der Einrichtung, sollen die Kinder jetzt mit gerichtlicher Hilfe zum Schweigen gebracht werden. Weil die „Lärmemissionen“ zu hoch seien, reichte ein ruhebedürftiger Privatmann, dessen Grundstück an die von der Kita genutzten Fläche angrenzt, Klage vor dem Hamburger Landgericht ein. Sein Ziel: Die Nutzung der so genannten Wetterschutzhütte, die den Kindern bei Sturm und Regen Unterschlupf bietet, zu untersagen, mindestens aber erheblich einzuschränken.
Betrieben wird der Waldkingergarten von der Rudolf-Ballin-Stiftung, deren Geschäftsführer Harald Clemens sich über die Klage empört: „Wenn Kinder spielen und schreien sind das Lebensäußerungen, kein Lärm“, betont Clemens. Deshalb sei es „absurd“, Kinderlachen in Dezibel zu messen und mit Straßen- oder Industrielärm „auf eine Stufe zu stellen“. Der Kläger hingegen betont, er habe vor einigen Jahren extra ein Grundstück am Wald erworben, weil er ruhig wohnen wollte. Damit sei es jetzt vorbei. Die Wetterschutzhütte werde längst wie eine normale Kindertageseinrichtung genutzt, und das sei im Landschaftsschutzgebiet widerrechtlich.
Der Kläger verweist auf ein Urteil, das im August vergangenen Jahres bundesweit für Aufsehen gesorgt hatte. Damals attestierte das Hamburger Landgericht den Nachbarn des Wandsbeker Kindergartens „Marienkäfer“ Recht, die den Kinderlärm als „wesentliche Beeinträchtigung“ ihrer Lebensqualität empfanden. Zwar kam es in zweiter Instanz zum Vergleich zwischen den Parteien, aber auch der führt dazu, dass die Marienkäfer-Kinder spätestens im Juli 2008 aus der Einrichtung ausziehen müssen.
Anette Gravesande-Lewis, Richterin der Landgerichts-Zivilkammer, die gestern die Berner Lärmklage verhandelte, sieht in dem Marienkäfer-Prozess aber kein „Präjudiz“: Schließlich wurde ein Vergleich geschlossen und deshalb kein letztinstanzliches Urteil gefällt. Ihrem Drängen, einen neuen Versuch zu unternehmen, sich außergerichtlich zu einigen, gaben schließlich beide Parteien nach. Sie wollen sich bis Mitte Dezember zusammensetzen, um einen Kompromiss über eine eingeschränkte Kita-Nutzung zu finden. Scheitern sie damit, will das Gericht einen Ortstermin anberaumen und danach entscheiden.
„Wenn solche Verfahren Schule machen, sind alle Kindergärten vom Wohl und Wehe ihrer Nachbarn abhängig“, befürchtet Harald Clemens von der Rudolf-Ballin-Stiftung. Er forderte Bürgermeister Ole von Beust gestern auf, das „Problem zur Chefsache“ zu machen.
Hamburgs Stadtentwicklungsbehörde arbeitet zwar seit Monaten an einer Kinderlärm-Verordnung, tritt dabei aber auf der Stelle. Denn seit der Föderalismus-Reform ist umstritten, ob die Länder diesen Bereich überhaupt eigenständig regeln dürfen. Eine Expertenkommission soll deshalb noch im Dezember Chancen und Risiken einer solchen Verordnung auszuloten.
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