: Geschmacklos, aber nicht volksverhetzend
WAHLKAMPF Eine Berlinerin findet NPD-Wahlplakate volksverhetzend – die Staatsanwaltschaft nicht
Nur wer im oberen Deck eines doppelstöckigen BVG-Busses fährt, ist mit den NPD-Wahlplakaten an den Laternenpfosten auf Augenhöhe. Sigrid H. aus Steglitz-Zehlendorf saß in solch erhöhter Position und hatte sich eine Woche vor Ostern „unglaublich erschreckt“, als sie lesen musste, mit was für Kampfsprüchen die rechte Partei um Wählerstimmen für ihren Einzug ins Europaparlament buhlt. „Geld für die Oma statt für Sinti & Roma“ stand dort geschrieben, bebildert mit dem Antlitz einer ratlos dreinblickenden älteren Frau. „Das darf doch nicht wahr sein“, dachte sich H., die selbst eine Oma ist. Als Lehrerin hatte sie sich zudem schon häufiger in Unterrichtseinheiten mit dem Thema Nationalsozialismus befasst. Dabei hatte sie sich und ihren SchülerInnen die Frage gestellt, wie Rassenhass zustande kommen könne. „Genau durch solche Äußerungen“, lautete die gefundene Antwort.
H. erstattete prompt Anzeige gegen den bei der NPD für das Plakat Verantwortlichen. Der Inhalt des Ausspruchs sei volksverhetzend, meinte sie. Nach Paragraf 130 des Strafgesetzbuches wird Volksverhetzung mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft. Doch so wie es aussieht, wird niemand hinter Gitter wandern. Das Ermittlungsverfahren wurde jüngst von der Staatsanwaltschaft eingestellt.
Kein Aufstacheln zu Hass
In der Begründung heißt es, dass ein Aufstacheln zu Hass oder Gewalt in der Aussage nicht erkennbar sei. Der Ausspruch stelle sich „zwar als geschmacklos, jedoch nicht als strafrechtlich relevant dar“. Darüber hinaus habe jeder im politischen Wahlkampf das Recht, „auch in überspitzter und polemischer Form Kritik zu äußern“.
Auch die Aussage auf dem Wahlplakat sei durch die im Grundgesetz zugesicherte Meinungsfreiheit gedeckt. Schon in früheren Fällen hatte die Staatsanwaltschaft Anzeigen gegen NPD-Plakate zurückgewiesen, darunter 2011 im Wahlkampf zur Abgeordnetenhauswahl.
H. findet, dass es der Staatsanwaltschaft an dieser Stelle an Sensibilität mangelt. Wütend macht sie das. „Wenn niemand solche Slogans je verbietet, dann kriegen wir sie bei der nächsten Wahl wieder vor die Nase gesetzt.“
Widerwillig begnügt sie sich mit dem „kleinen Nadelstich“, den sie der Partei mit ihrer Strafanzeige versetzt hat. MARKUS MAYR