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Archiv-Artikel

Ein merkwürdiger Abgang

Ian Thorpe, als fünffacher Olympiasieger einer der besten Schwimmer aller Zeiten und Nationalheros in Australien, verkündet überraschend seinen Abschied vom Leistungssport – im Alter von 24 Jahren

von Andreas Morbach

Bei seinem letzten Termin im alten Job zeigte sich Ian Thorpe noch einmal von seiner Schokoladenseite. Am Montag hatte der smarte Athlet die australischen Medien mit seiner Einladung zu einer Pressekonferenz für den nächsten Tag in helle Aufregung versetzt. Und nun saß der schwimmende Halbgott in Sydneys Wentworth Hotel, einer der größten Herbergen seiner Heimatstadt, vor ihnen. Gebräunt und aufgeräumt und ein bisschen aufgeregt. Auch über sich selbst. Die Journalisten hatten es mit Erhalt der Einladung längst geahnt: Ian Thorpe, Australiens erfolgreichster Sportler aller Zeiten, hört mit dem Schwimmen auf. Mit 24 Jahren.

„Für mich ist es der richtige Zeitpunkt“, sagte Thorpe. Schließlich musste der König des Pools, der sich in den vergangenen Jahren immer wieder mit Krankheiten, Verletzungen, Motivationsproblemen und den aufdringlichen Medien in Down Under herumplagte, im Sommer nicht erst nach Los Angeles fliehen, damit seinen Landsleuten klar wurde: Ian steht kurz vor dem Absprung.

Den hat er jetzt geschafft – nach einem knappen Jahrzehnt im Rampenlicht des internationalen Schwimmsports. Eine lockere Atmosphäre herrschte im Wentworth Hotel, in der weniger vom überraschenden Hausbesuch australischer Dopingkontrolleure bei Thorpe am Sonntag die Rede war. Sondern mehr von jener mysteriösen Person, die ihn bei seiner großen Entscheidung unterstützt hatte.

Die Dopingfahnder hatten mit ihrem Hinweis, ihre Visite vom Wochenende sei reiner Zufall gewesen, umgehend Platz gemacht für die ominöse Geschichte, die Thorpe dann erzählte. Sonntagnachmittag, 14.53 Uhr – das war der Moment, in dem er sich dazu durchgerungen hatte, nicht bei den WM im kommenden März in Melbourne anzutreten und, als Folge davon, komplett mit dem Schwimmsport aufzuhören. Zwei Tage später waberte deshalb die große Frage durch die Flure des Wentworth Hotels: Wer hat Thorpe beim Durchringen derart den Rücken gestärkt, dass der so geheimnisvoll schwärmte: „Ich darf ihren Namen nicht sagen. Aber sie waren unglaublich, absolut unglaublich.“?

In der breiten Öffentlichkeit, so viel verriet der fünfmalige Olympiasieger immerhin, sei diese Person „absolut unbekannt“. Kolleginnen und Kollegen, die ihre Schwimmanzüge oder sonstige sportliche Ausrüstung künftig an den Nagel hängen wollen, legte er den großen Unbekannten wärmstens ans Herz. „Ich möchte, dass Athleten, die mit ihrem Sport aufhören wollen, mit mir in Kontakt treten. Dann kann ich sie mit dieser Person zusammenbringen“, bot sich der Sydneysider an.

Bei den Trainingseinheiten in seinem kalifornischen Exil habe er Dinge über sich und das Schwimmen gelernt, die er niemals für möglich gehalten hätte, sagt Thorpe. „Ich habe“, berichtet er aus seiner Zeit in Los Angeles, „damit begonnen, mich nicht nur als Schwimmer, sondern als Mensch zu betrachten.“ Was einfach klingt, aber nicht einfach ist für einen Menschen, der mit 15 Weltmeister wurde. Der 13 Weltrekorde schwamm. Der mit 17 wenige Kilometer von seinem Elternhaus entfernt zu seinen ersten drei olympischen Goldmedaillen durchs Wasser pflügte. Der bei seinem glorreichen Comeback 2004 in Athen unter anderem das „Rennen des Jahrhunderts“ gegen den Niederländer Pieter van den Hoogenband und US-Star Michael Phelps über 200 m Freistil gewann. Der bis heute drei Weltrekorde hält.

„Als ich ihn im Wasser sah, konnte ich nicht glauben, dass dies ein Mensch ist“, preist Koji Ueno, der Manager des japanischen Schwimmteams, die offensichtlich übernatürlichen Fähigkeiten des Australiers. Andererseits sind Gerüchte, der mit Schuhgröße 52 gesegnete Thorpe sei nicht zuletzt mit Hilfe verbotener Wachstumshormone zu seiner stolzen Titelsammlung gelangt, nie ganz verstummt. Zeit seines Sportlerlebens verfolgt haben ihn auch die australischen Journalisten, zuletzt sogar bis an seinen Zufluchtsort Los Angeles.

„Manchmal fühle ich mich bedroht“, hat Thorpe, dessen Leben von einer Chlorallergie, unter der er als Kind litt, bis hin zu seinen angeblich homosexuellen Neigungen bis in den letzten Winkel ausgeleuchtet wurde, vor fünf Jahren einmal gesagt. 2001 war auch das Jahr, in dem er einen Termin in New York hatte. Am 11. September. Im World Trade Center. Im obersten Stockwerk. Allerdings ließ Ian Thorpe damals seine Kamera im Hotel liegen. Der Taxifahrer musste umdrehen. Und so konnte er gestern Mittag vom bislang letzten Mysterium in seinem Leben berichten – von den Gesprächen mit dem großen Unbekannten.