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Archiv-Artikel

Der anfechtbare Friedensengel

AUSSENPOLITIK Der US-Diplomat Holbrooke war stets an der Schnittstelle zwischen Militär und Politik. In Afghanistan hatte er wenig Erfolg

Seine Karriere begann er in Vietnam als Koautor der „Pentagon Papers“

AUS WASHINGTON DOROTHEA HAHN

Sein Berufsleben begann mit dem Krieg in Vietnam. Es endete während des Kriegs in Afghanistan. Am Montagabend starb Richard Holbrooke in Washington an den Folgen eines Aortarisses. Der 69-Jährige war am Freitag bei einer Arbeitssitzung mit Außenministerin Hillary Clinton zusammengebrochen. Trotz 21-stündiger Operationen konnte er nicht gerettet werden. In Washington verlautet, seine letzten Worte an einen aus Pakistan stammenden Chirurgen seien gewesen: „Beendet diesen Krieg“.

US-Präsident Barack Obama nennt den Beauftragten für Afghanistan und Pakistan posthum einen „Riesen der US-Außenpolitik“. Dessen langjährige Vertraute und zuletzt Vorgesetzte, Hillary Clinton, spricht von einem „perfekten Diplomaten“, der Diktatoren „niedergezwungen“ habe und der „für die US-Interessen selbst unter schwierigsten Umständen aufgestanden“ sei.

Tatsächlich war Holbrooke kein Friedensengel. Er stand vielmehr an der Schnittstelle zwischen Diplomatie und Militär. Seine Karriere begann er von seinem ersten diplomatischen Posten in Vietnam aus als Koautor der „Pentagon Papers“. Diese Dokumente, im Auftrag des US-Verteidigungsministers erstellt, beschreiben die Machenschaften der USA vor und während des Vietnamkriegs und waren nur für den internen Gebrauch gedacht. Doch 1971 erfuhr die New York Times davon und veröffentlichte sie. Aus ihnen geht hervor, dass Präsident Lyndon B. Johnson seine Landsleute nach Strich und Faden über den Vietnamkrieg belogen hat.

Holbrooke war schon im jungen Alter von 24 Jahren Johnsons Berater. Seither hat er sämtlichen demokratischen US-Präsidenten gedient. In jenen Zeiten, in denen Republikaner an der Macht waren, verdingte sich Holbrooke als Investmentbanker (unter anderem bei Lehman Brothers) und Autor. In die Geschichtsbücher der USA ist er schon vor seinem Tod als „Friedensstifter von Dayton“ eingegangen. Das ist die US-Anerkennung dafür, dass er am Ende des Balkankriegs einen Waffenstillstand sowie die Zerstückelung Jugoslawiens ausgehandelt hat. Er war deshalb für den Friedensnobelpreis im Gespräch.

Für Holbrooke, den Diplomaten, war die Militarisierung immer eine Option der Politik. So lieferte er während seines kurzen Gastspiels als US-Botschafter im gerade erst vereinigten Deutschland, 1993/1994, die Argumente für die Osterweiterung der Nato. Statt der Abrüstung, die nach dem Ende des Kalten Kriegs und dem Mauerfall möglich schien, betrieb er die Ausweitung des westlichen Militärbündnisses in Richtung Osteuropa. Sein aktueller Amtsnachfolger in der Berliner US-Botschaft, Philip Murphy, erinnert posthum allerdings nicht daran, sondern an Holbrookes kulturelles Engagement. Er habe die 1994 abgezogenen US-Truppen durch „kulturelle und gesellschaftliche Verbindungen, wie die Gründung der American Academy“, ersetzt, sagte Murphy der taz. Im vergangenen Jahr setzte Holbrooke erneut auf mehr Militär. Damals überzeugte er zusammen mit Hillary Clinton den US-Präsidenten davon, die Zahl der US-Soldaten in Afghanistan um 30.000 aufzustocken.

Nachdem Holbrooke im Vorwahlkampf der außenpolitische Berater von Hillary Clinton war, beförderte Präsident Obama ihn nach seiner Wahl zu seinem Beauftragten für Afghanistan und Pakistan. Als solcher reiste der Diplomat seit Januar 2009 permanent zwischen den USA, Europa und der Kriegsregion hin und her. Er lebte und schlief (wenig) in Flugzeugen und tauchte in manchen Wochen sowohl in Brüssel, Paris, Berlin, Moskau, Kabul, Islamabad und Washington auf. Die Bezeichnung „Besatzung“ für die Stationierung – gegenwärtig 100.000 – kämpfender US-Soldaten in Afghanistan nannte Holbrooke falsch. Seine Begründung: Die USA seien auf „Verlangen des afghanischen Volkes“ im Land.

Holbrooke war das Gegenteil der Offenlegung, die im Augenblick mit „Wikileaks“ Schlagzeilen macht. Er kannte alle. Verhandelte oft in Vier-Augen-Gesprächen. Und ließ wenig durchsickern. Sein ruppiger Ton und der Spitzname „Bulldozzer“ – der auf seinen Verhandlungsstil in Dayton zurückgeht – verstärkten seinen guten Ruf in Washington. Bei den DemokratInnen galt er spätestens seit dem Dayton-Abkommen als „Alleskönner“. In Afghanistan allerdings lieferte Holbrooke keine sichtbaren Erfolge. In Kabul hatte er eine angespannte Beziehung zu Präsident Karsai, in Washington kultivierte er eine oft lähmende Konkurrenz mit dem für Kriegsfragen zuständigen General im National Security Council des Weißen Hauses, Douglas Lute.

Als George W. Bush Präsident war, hat Holbrooke den Afghanistankrieg kritisiert. Unter Obama war er als „AfPak-Beauftragter“ der Zivilist unter den Militärs in dem Kriegsgebiet. Doch es ihm nicht gelungen, mehr als einen Zickzackkurs hinzukriegen, der auch Alliierte der USA irritiert hat. Vom kommenden Sommer an sollte der breitschultrige und kräftig wirkende Holbrooke, neben dem wenig Platz für andere ausländische Diplomaten war, den schrittweisen Abzug der ausländischen Truppen aus Afghanistan begleiten. Das hat sein plötzlicher Tod verhindert.

An der Afghanistan-Politik der USA, so heißt es in Washington, werde sich nichts ändern.