: Was guckst du?
Medienghettos gibt es nicht: Die Deutsch-Türken gucken fast so viel deutsches Fernsehen wie türkisches und gerne auch WDR – sagt eine Studie des WDR. Andere Forscher sehen das kritischer
VON MIRIAM BUNJES
Im türkischen Fernsehen gucken sie vor allem Spielfilme und Serien, im deutschen Nachrichten- und Wissenssendungen – und gerne auch die Sendungen, die für ihre Zielgruppe in deutscher Sprache gesendet werden. Für die heute beginnende Konferenz von WDR, ZDF und France Télévision zum Thema „Migration und Integration – Europas große Herausforderung“ präsentiert die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt eigene Forschungsergebnisse. „Die Studie zeigt sehr klar, dass die meisten in Deutschland lebenden Türkinnen und Türken sich nicht in ein Medien-Ghetto zurückgezogen haben“, sagt Claudia Schmidt, WDR-Abteilungsleiterin für Kommunikation, Forschung und Service. „Sie nutzen deutsches und türkisches Fernsehen ganz selbstverständlich nebeneinander und sehen in diesem Mix auch einen durch zwei Länder und Kulturen geprägten Lebensstil.“
Tatsächlich liefert die WDR-Studie deutliche Zahlen: 500 zufällig ausgewählte Menschen mit türkischem Hintergrund befragten die Wissenschaftler zu ihren Fernsehgewohnheiten: Von den 14- bis 49-Jährigen aus Nordrhein-Westfalen gucken 60 Prozent deutsches Fernsehen und 70 Prozent dazu auch türkisches – die jüngeren mehr deutsches, die älteren mehr türkisches.
„Traumhaft, wenn das so ist“, sagt Daniel Müller, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt „Mediale Integration“ der Universitäten Dortmund und Siegen. „Die türkischen Medien sind die Brücke zur Heimat: Man kann auch mal ein Fußballspiel einer türkischen Kleinstadt verfolgen. Die deutschen Medien informieren über die Zustände am Wohnort: Man kann an der Gesellschaft teilhaben.“ Der Medienforscher hat allerdings Zweifel. Denn Studien von Marktforschungsinstituten wie Data4U, die Einschaltquoten von in Deutschland lebenden Einwanderern messen, kommen zu völlig anderen Ergebnissen. „Da verbringen die Türkischstämmigen 80 Prozent ihrer Fernsehzeit mit türkischen Programmen und 20 Prozent mit deutschen Programmen.“ Und gerade die Jüngeren sähen wieder mehr auf Türkisch. Müller hält dieses Messverfahren für objektiver. „Die Befragten wissen doch, dass die deutsche Mehrheitsgesellschaft es besser findet, wenn sie deutsches Fernsehen guckt“, sagt der Medienwissenschaftler. „Das kann die Antworten stark verzerren.“
Und auch der Auftraggeber macht ihn vorsichtig: Der WDR müsse als öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt ein Programm für alle machen, dafür kassiere er schließlich Rundfunkgebühren. „Er hat also auch ein Interesse daran, sein Programm durch solche Ergebnisse zu legitimieren“, sagt Müller. „Die Öffentlich-Rechtlichen fürchten die Konkurrenz von hier ansässigen Ethnomedien wie Düzgün TV aus Lünen, die Lokalnachrichten auf Türkisch anbieten.“ Nicht zu Unrecht: Radio Metropol FM, ein türkischsprachiger Berliner Privatsender, hat dem Rundfunk Berlin-Brandenburg einen Großteil der türkischen Hörerschaft weggenommen.
Durch die ausführlichen Gespräche mit den befragten Migranten liefert die Studie des WDR allerdings mehr als nackte Zahlen. Denn die befragten türkischen Zuschauer stört vieles am deutschen Fernsehen. Fast zwei Drittel finden, dass Türken negativ dargestellt werden. Ihnen fehlen türkischstämmige Moderatoren und Darsteller, sie kennen die meisten Medienmenschen mit Migrationshintergrund beim Namen und „sind irgendwie stolz“ auf sie. „Eine stärkere Präsenz von Präsentatoren, Moderatoren und Schauspielern mit türkischem Hintergrund könnte auch zu einer stärkeren Bindung an die deutschen Fernsehprogramme beitragen“, folgert entsprechend auch der WDR.
Eine Bindung, die bei in Deutschland lebenden Spanisch-, Italienisch- und Portugiesischstämmigen offenbar stärker vorhanden ist. „Da zeigen die Studien übereinstimmend, dass deutsche Medien gleich oder sogar mehr genutzt werden“, sagt Medienforscher Müller. „Dabei können diese Gruppen ja auch schon seit Jahren Fernsehen aus ihren Herkunftsländern gucken.“