: Schlüter und Stella
PODIUMSDISKUSSION Beim 9. Forum der Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum diskutierte man im Bodemuseum den Wiederaufbau des Berliner Schlosses und allgemeinere Tendenzen in der modernen Architektur
Über das Ob und Wie der Rekonstruktion des Berliner Schlosses ist längst entschieden. Auf der Baustelle wächst der Betonkern bereits in die Höhe, worauf die Barockfassade von Andreas Schlüter mit ihrem reichen plastischen Bauschmuck appliziert werden soll. Bleibt für die Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum, dem Bauherren des alt/neuen Gebäudes die Frage: Wie wegweisend ist die Methode „Schlüter trifft Stella“, also das Zusammentreffen von barocker Fassade mit einem neuen Innenleben nach dem Entwurf des italienischen Architekten Franco Stella? Auf der Podiumsdiskussion am Montag im Bodemuseum in unmittelbarer Nähe zur aktuellen Schlüter-Ausstellung, fanden die drei geladenen Experten darauf nicht wirklich eine Antwort.
Bernd Lindemann, Direktor der Skulpturensammlung, nannte den Entwurf von Stella „konsequent“, ob er auch richtig sei, wisse er nicht. Im Grunde stand hinter der Frage nach dem Umgang mit dem Schlüter’schen Vorbild für Manfred Rettig, den moderierenden Vorstand der Stiftung Berliner Schloss, auch die Frage nach dem Verhältnis von Architektur und Kunst überhaupt. Michael Schoenholtz, emeritierter Bildhauerprofessor mit eigenen Erfahrungen bei der Kunst am Bau an der wiederaufgebauten Dresdner Frauenkirche, verwies auf die historische Ausdifferenzierung der beiden Professionen. Heute kämen die Künstler meist erst zum Zuge, wenn der Architekt seine Arbeit bereits fertig habe.
Bei Schlüter, Bildhauer und Architekt in Personalunion, war das noch anders. Der Barock kannte die Trennung zwischen Baukunst und Bildhauerei so nicht. Sergei Tchoban, Architekt, sah zwar auch eine zunehmende Reduktion aller baulichen Formen in Zuge der Moderne, bemüht sich aber, in moderner Weise an alte Sehgewohnheiten anzuknüpfen. Etwa mit seinem Museum für Architekturzeichnung auf dem Pfefferberg in Prenzlauer Berg. Hier käme ein Konzept zum Zuge, welches das Auge auch aus der Nähe mit in den Beton eingeritzten Zeichnungen sättige, während aus der Ferne eine streng kubische Silhouette erscheine. Tchoban hätte das Berliner Schloss alias Humboldtforum allerdings, anders als Stella, wiederaufgebaut.
Damit war nun die Frage gestellt: Was wird uns alsbald an der Ostseite des Humboldtforums begegnen, jener Front, die eben nicht nach Schlüter’schen Vorbild rekonstruiert wird, weil der Barockbaumeister hier das Konglomerat aus bis ins Mittelalter zurückreichenden Bauteilen selbst unangetastet ließ. Franco Stella saß im Publikum und erklärte, was seine Idee sei.
Es läuft im Grunde darauf hinaus, die „elementare Konstruktion“, wie sie Schlüter im Ostflügel hofseitig vorgegeben hat, in der Fassade zur Spree hin zu wiederholen. Mit anderen Worten, Stella entkleidet die Fassade hier von jedwedem künstlerischen Applikationen, was nun das glatte Gegenteil von dem ist, was einst die Schlüter’sche Maxime war: die Einheit von Plastik und Architektur. Selbst auf Nachfrage konnte Stella immer nur wiederholen, das er zum konstruktiven Urgrund des Architektonischen als Grundmodul zurückgeht: zwei tragende Pfeiler und ein lastender Balken darüber. Das ließ so manchen Kunstsinnigen im Publikum konsterniert zurück. Stella musste sich in der abschließenden Diskussion den Vorwurf der „Verballhornung“ anhören. Mag sein, dass die Debatte um das Ob der Schlossrekonstruktion beendet ist. Die Antwort beim Wie bleibt offenbar weiterhin fragwürdig.
RONALD BERG