Der Mann fürs Ensemble

Weil er als Regisseur „wahrhaftiges, menschliches Verhalten“ zeigen wollte, konnten sich in seinen Filmen wie „The Player“ oder „Nashville“ die Dialoge überlappen wie im richtigen Leben auch. Jetzt ist Robert Altman mit 81 Jahren gestorben

von DIETMAR KAMMERER

Im letzten Moment hielt er ihn doch noch in Händen. Fünfmal während seiner vier Jahrzehnte dauernden Karriere als Spielfilm-Regisseur wurde Robert Altman für den Oscar nominiert, fünfmal haben ihn andere bekommen. Als er vor sechs Monaten doch noch den Ehren-Oscar für sein Lebenswerk verliehen bekam, gestand der 81-Jährige vor 3.000 Gästen, dass er seit zehn Jahren nur dank eines neuen Herzens in seiner Brust weitermachen kann. Nun ist der ewige Außenseiter Hollywoods, der mit den größten Stars der Branche gearbeitet hat, in Los Angeles gestorben.

Sein Timing war schon immer ein anderes. Als Altman 1970 seinen Durchbruch erlebt, hat er die Mitte vierzig bereits überschritten – ein Greisenalter in einem „New Hollywood“, das zu diesem Zeitpunkt wie frenetisch auf blutjunge Talente setzt und bereit ist, praktisch jeden Absolventen einer Filmhochschule unter Vertrag zu nehmen. Altman, der zwei Kinofilme und jahrelange Erfahrung im Fernsehen vorweisen kann, kriegt das Drehbuch zu einer Antikriegssatire nur angeboten, weil es zuvor von einem Dutzend Filmemacher abgelehnt wurde. Wegen seines legendären Ungehorsams hatte der Regisseur wenig Freunde unter den Studiochefs. Doch „M.A.S.H.“ wird bei den Kritikern und beim Publikum zum Riesenerfolg – und der erste Film eines Major-Studios, in dem das Wort „Fuck“ ausgesprochen wird.

Plötzlich galt Altman als die Quintessenz eines Filmjahrzehnts, dessen Regisseure durchgehend eine Generation jünger sind als er. Es war ein langer Weg bis dahin. Auf die Welt gekommen am 20. Februar 1925 in Kansas City als Sohn eines Versicherungsvertreters, fliegt Altman 19-jährig als Bomberpilot der Air Force Angriffe auf Japan in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges. Nach diversen Gelegenheitsjobs und einem glücklosen ersten Versuch, in Hollywood Fuß zu fassen, kehrt er in seine Heimatstadt zurück, wo er für eine Produktionsfirma Dokumentar-, Industrie- und Werbefilme dreht.

Altmans Karriere beginnt schleppend, aber auf ihren Stationen lernt er so ziemlich jeden Job der Industrie aus der Innenperspektive kennen. Er arbeitet als Schauspieler, Cutter, Kameramann und Regisseur, schreibt Drehbücher und Musicals, die es nicht auf die Bühne schaffen. In den Fünfzigern findet er Anstellung beim Fernsehen und inszeniert TV-Serien, unter anderem mehrere Episoden von „Bonanza“. Deren verlogenes Westernbild mag später der Anlass gewesen sein zu Filmen wie „Buffalo Bill und die Indianer“ von 1976, mit einem völlig verlotterten Paul Newman als „nationalem Show-Helden“. Die Selbstherrlichkeit der USA in all ihren Ausprägungen wird ein beliebtes Ziel von Altmans Spott bleiben.

„Was ich suche, sind Begebenheiten und wahrhaftiges menschliches Verhalten“, hat Altman einmal erklärt und angefügt: „Wir Menschen haben eine Art Straßenkarte, die wir auf unserer Reise anfertigen.“ Darauf sind viele Wege verzeichnet – 1975 bringt er in „Nashville“ sechsundzwanzig Hauptdarsteller und Dutzende von Geschichten auf der Leinwand zusammen. Der Ensemblefilm als Gesellschaftspanorama wird später eine Art Markenzeichen von ihm. Auch das Unzeitgemäße ist typisch: „Nashville“ ist ein Film über die Siebziger aus der Sicht der Countrymusik.

Altmans Eigenart, mehrere Dialoge bis zur Unverständlichkeit überlappen zu lassen, wird oft selbst von seinen Bewunderern kritisiert. Doch das Prinzip – das Übereinanderlegen mehrerer unvereinbarer Schichten – liegt seinen besten Filmen zugrunde. Er kombiniert den epischen Entwurf mit dem Blick fürs Detail, bürstet die Genres gegen den Strich, lässt teure Hollywoodstars nach wenigen Minuten wieder abtreten. Ohnehin ist er wenig an traditionellen Plots interessiert. Einen Kassenknüller könne man in maximal fünfundzwanzig Worten wiedergeben, lässt Altman einen Produzenten in seiner Hollywood-Satire „The Player“ fachsimpeln. Sein eigenes Credo war noch radikaler. „Ich erzähle keine Geschichten. Ich zeige.“

Mit Altmans nun endgültig letztem Film „A Prairie Home Companion“, der auf der Berlinale gefeiert wurde, schließt sich ein Kreis. Zurück in den Mittleren Westen, zurück zur Countrymusik, zurück zu Filmen über Glanz und Elend des Showbusiness. Im Film wird eine beliebte (und real existierende) Radioshow nach dreißig Jahren eingestellt, aber alle Beteiligten tun so, als würde es ewig weitergehen. In Interviews hat der Regisseur stets die Auskunft gegeben, erst dann mit dem Filmedrehen aufzuhören, wenn sie ihn raustragen. „Ruhestand? Sie reden vom Tod, richtig?“ Jetzt ist Robert Altman in den Ruhestand getreten.