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Archiv-Artikel

„Siebenmal Nachtisch“

Charlotte Roche im Kino: In Michael Hofmanns „Eden“ gibt sie eine kulinarisch interessierte, abtrünnige Ehefrau. Ein Gespräch über kalten Spinat, Musikfernsehen und Schauspielerei

Interview CRISTINA NORD

taz: Frau Roche, Sie sind nicht die erste Moderatorin, die vom Musikfernsehen ins Kino wechselt. Wie kommt das?

Charlotte Roche: Darüber zerbreche ich mir selbst auch den Kopf. Bei Christian Ulmen, bei Heike Makatsch, bei Jessica Schwarz hat das richtig toll geklappt, und ich schäme mich ein bisschen dafür, dass ich jetzt auch gerne Schauspielerin sein möchte. Ich habe das Gefühl, die Leute denken, das ist Verarsche – warum wird man überhaupt Moderatorin, wenn man doch Schauspielerin werden will?

Als würde das Schauspielerwerden entwerten, was vorher war?

Irgendwie ja. Ich wollte in der Schule Schauspielerin werden, aber dann kam Viva dazwischen. Die haben sich ja nicht aufgedrängt, ich habe mich beworben und wurde genommen. Aber wieso ich mich beworben habe, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, warum ich lange geblieben bin – weil es gut lief. In den sieben Jahren bei „Fast Forward“ habe ich mich viel damit beschäftigt, wie ich Schauspielerin werden kann. Es gab Angebote für Filme, die ich aber immer abgesagt habe.

Warum?

Weil die so schlecht waren – total schlimme, beleidigende Angebote, Teenie-Komödien, Kiffer-Komödien, Schnelle-Autos-Komödien – am liebsten so, dass ich eine Musikfernsehmoderatorin gespielt hätte.

Wurde irgendeine dieser Komödien ohne Sie realisiert?

Ich habe das nicht verfolgt. Ich wüsste gar keine Titel mehr. Das wurde ganz schnell abgesagt, schnell weg, schnell in den Müll. Dabei war es auch verführerisch zuzusagen, weil ich dachte: Vielleicht muss ich mal einen Anfang machen. So ein Irrglaube, man könnte in etwas Schlechtem gut sein. Aber zum Glück habe ich mich nicht verführen lassen.

Jetzt aber doch: Was unterscheidet das Drehen eines Filmes vom Machen eines Musikmagazins? Was unterscheidet „Eden“ von „Tracks“?

Wenn ich moderiere, dann lasse ich mir von niemandem etwas sagen. Beim Filmdreh ist das Gegenteil der Fall – ich hänge an den Lippen des Regisseurs und habe totalen Schiss, dass etwas schieflaufen könnte. Beim Moderieren habe ich so ein Selbstbewusstsein entwickelt, dass, wenn jemand sagen würde: „Das ist aber ganz falsch“, ich antworten würde: „Nee, das ist nicht falsch, das ist nur anders.“ Da bin ich der Chef der Sendung.

Und damit, dass der Regisseur so viel Macht hat, kommen Sie klar?

Viele Menschen in meinem Umfeld verstehen nicht, wieso ich das gut finde. Ich habe mal mit Christian Ulmen darüber geredet. Das Fernsehen kommt einem im Vergleich zum Monstrum Film mit den vielen, vielen Drehtagen und den vielen Menschen, die daran arbeiten, langweilig vor. Das Resultat läuft im Kino, das hat einen viel größeren Wert als Fernsehen.

Man könnte auch den Schluss ziehen, es sei besser, es mit der Regie zu versuchen.

Bin ich noch nicht drauf gekommen. Vielleicht später.

Wenn Sie selbst ins Kino gehen, was sehen Sie am liebsten?

Ich habe etwas gegen amerikanische Filme, es gibt natürlich Ausnahmen, Filme von linken Filmemachern, aber Mainstream-Amerikanisches finde ich ganz schlimm.

„Superman“ schauen Sie sich nicht an?

Nein, das kommt mir vor wie eine Riesenzeitverschwendung. Da steckt viel Geld drin, alles sieht toll aus, alles explodiert, aber man weiß von Anfang an, was am Ende passiert. Ich habe von meiner Mutter aus viel mitgekriegt über heftige Filme, ob das nun „Die Blechtrommel“ war oder „Brazil“, „Drowning by Numbers“ oder was auch immer, halt so komische, kranke Sachen. Wenn ich in eine Videothek gehe, um einen Film auszuleihen, dann lande ich schnell bei den Arthouse-Regalen, weil ich keine glatten, hübschen Frauen und Männer sehen möchte, keine perfekten Körper, sondern Bäuche, schlechte Haut und lange Nasen.

Was gab denn beim Lesen des Drehbuchs von „Eden“ den Ausschlag? Woran haben Sie gemerkt, dass es der richtige Film für Sie ist?

In der ersten Szene beobachtet der Junge, der später der Koch Gregor sein wird, seine hochschwangere Mutter beim Duschen – ein Superanfang für einen Film. Für mich ist das eigentlich das Natürlichste von der ganzen Welt: eine nackte schwangere Frau, aber in „Eden“ ist das so ungewohnt und irgendwie schockierend, so sexuell. Der Junge guckt die Mutter an, und es kommt einem verboten vor. Und dann fällt der erste Satz des Filmes: „Ich habe mir geschworen, ich will auch so einen Bauch haben.“

Was mir an „Eden“ gut gefällt, ist, dass so viel gegessen wird – und was gegessen wird. Zugleich weiß jeder Regisseur, dass es zu den schwierigsten Dingen im Kino gehört, Menschen beim Essen zu filmen. Man kann die Szenen nämlich nicht umstandslos wiederholen. Beim nächsten Take ist weg, was eben noch auf dem Teller lag. Wie war es, die Essszenen zu drehen?

Gelernte Schauspieler können Luft essen, aber bei einer nicht gelernten Schauspielerin sieht man, dass sie Luft isst. Und deswegen musste ich immer richtiges Essen essen, auch wenn das Essen selbst gar nicht im Bild oder nur mein Hinterkopf zu sehen war – und das war nicht mit Ausspucken oder so was, sondern mit Runterschlucken und Verdauung. Manchmal muss man siebenmal hintereinander einen absolut großartigen Nachtisch komplett aufessen und den Teller leer lecken. Das ist eigentlich ekelhaft. Denn die Portion ist für einmal konzipiert. Nach dem dritten Mal sitze ich da und denke: „Jetzt kommt wieder diese wahnsinnig leckere Mousse au chocolat, und ich muss sie wieder ganz aufessen.“ Eine Herausforderung, eine kleine Folter.

Haben die Gerichte denn so gut geschmeckt, wie der Film behauptet?

Es gibt drei Stufen von Essen in „Eden“. Das beste ist das, was Frank Oehler gekocht hat, der Superkoch. Er hat die Teller zubereitet, die von oben gefilmt und von unten beleuchtet werden, die man im Vorspann zu sehen bekommt, begleitet von Opernmusik. Ich habe das bei den Dreharbeiten nicht zu Gesicht bekommen, weil das in Berlin aufgenommen wurde und wir in Bad Herrenalb gedreht haben. Das Essen war der Star, der gar nicht da war.

Und die zweite Stufe?

Ein Koch, auch ein sehr guter, Steffen Sonnenwald, hat am Set Gerichte von Frank Oehler nachgekocht. Sehr, sehr lecker! Davon durfte ich viel essen, zum Beispiel einen Nachtisch mit Schokolade und hochgetürmten Karamelkringeln, innen drin war Chili. Manche Sachen – zum Beispiel halbgefrorene Desserts – brauchten einen ganz bestimmten Aggregatzustand, damit sie gut aussahen. Dann hieß es: „Das Essen ist da“, und dann musste alles klappen. Wenn ich es versaute, musste der nächste Teller zubereitet werden.

Die dritte Stufe stammte ganz normal von den Requisiteuren. Da sieht man nicht, was auf dem Teller ist, sondern nur den Löffel – zum Beispiel wenn der Koch zum ersten Mal Eden zu Hause besucht, da essen wir eine Suppe. Die bestand aus kaltem Wasser mit aufgelöstem Spinat. Das haben wir gegessen und dabei die ganze Zeit „wie lecker“ gesagt.

Geschluckt haben Sie trotzdem?

Ja.

Gab es denn bei all dem Pannen?

Mir fällt zwar keine sensationelle Geschichte ein, aber vieles hat nicht geklappt. Eine der schwierigsten Szenen war der Kindergeburtstag von Leonie, wo Eden die letzte Praline findet, weswegen Leonie ausrastet. Der Ton geht weg, kurzer Zoom auf mein Gesicht, und ich sollte diese fette Praline in den Mund gleiten und elegant verschwinden lassen. Ich habe aber den ganzen Mund voll mit diesem harten, dicken Ding, und wenn ich kaue, sehe ich scheiße aus. Bei den Stierhoden war es auch so: Der Regisseur hat mich zehn Dinger davon essen lassen, um dann zu sagen: „Das war nicht schnell genug. Mach’s noch mal von vorne.“

Das klingt anstrengend.

Ja, es war wie ein Esswettbewerb für mich.

Eden, die Figur, die Sie spielen, lebt in einem abgezirkelten, provinziellen Umfeld, sie steht unter der Fuchtel ihrer Schwiegereltern und unterliegt vielen Zwängen. Ist das Leben in der Provinz tatsächlich so trist? Oder ist das eine Setzung in der Fiktion?

Ich weiß es nicht, wie es im Schwarzwald in echt wäre, ich kenne da keinen. Eden ist da hingezogen wegen ihres Mannes, und ich glaube, es ist deswegen so eng wie möglich, damit man Verständnis für sie hat, dafür, dass sie ausbrechen will. Es gibt Szenen, etwa wenn Eden bei den Schwiegereltern nicht essen will, alle auf ihr herumhacken und ihr Mann ihr in den Rücken fällt, die sind unnatürlich bösartig, damit man Mitleid mit der Figur hat. Ob man bei so einem Mann wirklich bleiben würde? Also, ich nicht.

So wie Sie in der Öffentlichkeit auftreten, verkörpern Sie etwas ganz anderes, als die Frauenfigur im Film darstellt. Wie bringen Sie das eine mit dem anderen zusammen?

Dem Regisseur war es ganz wichtig, dass die Ehe von Eden und Xaver vor sich hin plätschert. Er hat mir immer gesagt: „Solche Ehen gibt es, Charlotte, du sollst dich nicht dagegen wehren.“ Am Set hat er geschimpft, wenn meine Stimme zu laut war. Vieles musste ich runterfahren, die Sitzhaltung sollte eher geduckt sein, ich sollte von unten nach oben gucken und nicht selbstbewusst sein. Es ging also immer wieder darum, nicht so zu sein wie Charlotte, sondern wie Eden, die mich nervte, weil sie passiv und naiv ist. Der Regisseur wollte, dass alles undramatisch ist, nicht getragen von großen Entscheidungen, wie ich das gerne im Privatleben habe. Wenn ich merke: Etwas gefällt mir nicht, will ich es ändern. Der Regisseur hat aber darauf beharrt, dass es Menschen gibt, die ihr Leben einfach so leben. Vielleicht sind sie dabei nicht besonders glücklich, aber auch nicht besonders unglücklich – und deswegen ändern sie nie etwas.