„Die Berechnungen sind veraltet“

Bei weiteren Preissteigerungen muss neu entschieden werden, meint der Sozialrichter Jürgen Brand

taz: Herr Brand, Empfänger von Hartz IV haben keinen Anspruch auf mehr Geld. Ist das Urteil des Bundessozialgerichts eine Überraschung?

Nein, denn bisher haben alle Instanzen so entschieden.

Nach Auffassung des Senats ist der Regelsatz sowohl mit dem materiellen als auch mit dem soziokulturellen Existenzminimum vereinbar und führt nicht automatisch zu einer gesellschaftlichen Ausgrenzung von Hartz-IV-Empfängern.

Das wird man jetzt auch so hinnehmen müssen. Nur der Gesetzgeber und das Bundesverfassungsgericht können noch entscheiden, dass der Regelsatz zu niedrig festgelegt wurde.

Seit Inkrafttreten ist das vierte der Hartz-Gesetze achtmal verändert worden, den realen Lebensbedingungen ist es aber immer noch nicht angepasst. Ist das Gesetz überhaupt verfassungskonform?

Das BSG hat für die Vergangenheit entschieden, dass das Gesetzt verfassungsgkonform ist. Das gilt aber nicht für die Zukunft. Die Berechnungen, die ich insbesondere im Hinblick auf Angehörige für nicht transparent genug halte, sind veraltet. Sollte es zu wesentlichen Preiserhöhungen in Deutschland kommen, wird die jetzige Entscheidung nicht mehr zu halten sein.

Mehr als 100.000 Klagen gegen die Arbeitsmarktreform gibt es in Deutschland. Warum ziehen so viele Menschen vor Gericht?

Auslöser der Klageflut ist die zunehmende Verarmung unserer Gesellschaft. Die Betroffenen stehen mit dem Rücken zur Wand, sie versuchen, zu bekommen, was sie können. Außerdem sind größere Bevölkerungskreise anspruchsberechtigt als nach dem vorherigen Bundessozialhilfegesetz.

Wegen der Klagewelle fordern einige Politiker, die Klagen künftig kostenpflichtig zu machen. Ist das rechtens?

Prinzipiell wäre es möglich, die Klagen kostenpflichtig zu machen. Menschen mit einem geringen Einkommen können allerdings Prozesskostenhilfe beantragen. Dann haben wir die Situation, die eigentlich gemieden werden sollte: mehr Arbeit und Kosten für den Staat.

Wie geht es nun weiter für die Betroffenen?

Der Rechtsweg ist ausgeschöpft. Die Kläger können nun aber eine Verfassungsbeschwerde einreichen.

INTERVIEW: CIGDEM AKYOL