21.049 Kinder leben mit Hartz IV

„Unerträglich“ ist das Urteil des Sozialgerichts zur Höhe von Hartz IV, sagt die Arbeitnehmerkammer. Unter den 56.690 Hartz-IV-Empfängern in Bremen sind tausende Erwerbstätige, die wenig verdienen

von Klaus Wolschner

Zeitlich passte das ganz gut: Einen Tag nach dem Urteil des Bundessozialgerichtes zu Hartz IV hat die Bremer Arbeitnehmerkammer ihren fünften „Armutsbericht“ vorgelegt. Die Hartz-Reform sei „gescheitert“, sagt Kammerpräsident Hans Endl knapp, 345 Euro Regelsatz seien natürlich nicht ausreichend, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Das Gericht hatte eine Klage gegen die Höhe des Regelsatzes abgewiesen. „Unerträglich“ sei dieses Urteil, sagt Endl und fragt: „Was reitet jemanden, der so gut bezahlt ist wie die Richter, zu sagen: 345 Euro sind ausreichend?“

Was dieser Regelsatz – für Kinder sind es nur 60 Prozent davon – konkret bedeutet, hat die Kammer in ihrem 100 Seiten starken Armutsbericht detailliert ausgebreitet. Wenn für einen Erwachsenen ein Bleistift gerechnet wird, bedeutet das für ein Kind: 60 Prozent eines Bleistiftes. Umgekehrt würde es Sinn machen, sagt Johannes Steffen, Sozialpolitik-Referent der Kammer – gerade wenn so viel darüber geredet wird, dass in Deutschland mehr in Kinder investiert werden müsse. Für die Schulsachen eines Kindes sind im Monat 1,76 Euro anerkannt, für Spielsachen 86 Cent, für „Freizeit“ zwei Euro und 70 Cent. Das heißt: Mitgliedsbeiträge für einen Sportverein gehören nicht zum Bedarf, und mit einem Spitzer und einem Buntstift ist das Monatsbudget eines Kindes für „Schule“ erschöpft.

50 Prozent der „Bedarfsgemeinschaften“, die auf Hartz-IV-Niveau leben müssen, sind Alleinerziehende mit ihren Kindern. Hartz IV treffe daher vor allem Frauen, sagt Carola Bury, Gesundheits-Referentin der Kammer: In der Stadt Bremen gibt es 6.697 „Bedarfsgemeinschaften“ Alleinerziehender mit Kind. Die Zahl der HilfeempfängerInnen (ALG II) stieg hier von insgesamt 52.811 Personen im Juni 2005 auf 56.690 im Juni dieses Jahres. Lebten in Bremen vor einem Jahr 19.761 Kinder unter 15 Jahren in „Bedarfsgemeinschaften“ (Bremerhaven 6.150), so hat sich dieser ohnehin sehr hohe Wert zum Juni 2006 noch gesteigert: In Bremen lebten 21.049 Kinder unter Hartz-IV-Bedingungen, in Bremerhaven 6.450.

Auch die Zahl der hilfebedürftigen Alleinerziehenden mit Kindern unter 18 Jahren stieg geringfügig von 7.718 auf 7.870 (Bremen) – erwartungsgemäß sind fast 95 Prozent der Alleinerziehenden Frauen.

Den Schwerpunkt ihres diesjährigen Armutsberichts legte die Kammer auf das Thema hilfebedürftiger Erwerbstätiger. „Wer arbeitet, der sollte genug Geld haben, um sich und seine Familie zu ernähren“, lautet eine gängige Vorstellung. Ein Irrtum: Laut Bundesagentur für Arbeit gab es im September 2006 bundesweit über 900.000 Fälle, 12.100 davon allein im Land Bremen, bei denen Erwerbstätige ergänzend Hartz IV bezogen. Wobei zwei Drittel derer, die Ansprüche hätten, diese nicht anmeldeten. Betroffen seien zunehmend auch Beschäftigte, die in Vollzeit arbeiten, sagt Kammerpräsident Endl: „Den Kombilohn haben wir schon – flächendeckend.“ Die Folgen seien fatal, weil Betriebe im Hinblick auf die ergänzenden Zahlungen die Löhne senken würden. Um so dringender, so die Kammer, sei ein gesetzlich fixierter Mindestlohn.

Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD) hat derweil angekündigt, dass für Hartz-IV-Kosten im Jahre 2007 insgesamt 42,7 Milliarden Euro ausreichen müssen. Im Jahre 2006 werden nach bisherigen Prognosen 5 Milliarden mehr gebraucht.

Bericht: www.arbeitnehmerkammer.de