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Archiv-Artikel

„Mit Blick ins Paradies!“

Abderrazzak Benchaâbane pflegt und verwaltet den Jardin Majorelle im Auftrag seines Besitzers Yves Saint Laurent. Der Botanikprofessor über seinen Chef, die Mission des schönsten Gartens von Marrakesch – und die Gefahren des Tourismus

von JÖRG MÜLLER BRANDES

taz: Herr Benchaâbane, wie geht es Yves Saint Laurent?

Abderrazzak Benchaâbane: Ganz gut, soweit ich weiß. Ich sehe ihn nur ab und zu. Er hat eine sehr enge Verbindung zu Marrakesch, und vor allem zu diesem Garten. Er wohnt ja in der Villa nebenan.

Mit Blick ins Grüne …

Mit Blick ins Paradies! Als er und sein Partner Pierre Bergé den Jardin Majorelle 1984 kauften, war der Garten verwildert und nur noch ein Schatten seiner selbst. Heute ist er ein Muss für jeden Marrakesch-Besucher.

Auch dank Ihrer Hilfe.

Für mich ist dieser Garten eine Herzensangelegenheit. Der französische Maler Jacques Majorelle hatte in den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts dieses Gelände mit subtropischen Gewächsen bepflanzt und mittendrin sein Atelier gebaut. Hier kreierte er das inzwischen patentierte Majorelle-Blau und schuf mit diesem Garten selbst ein Gemälde. 1962 ist er gestorben, und der Jardin Majorelle wurde seinem Schicksal überlassen …

bis Sie vor acht Jahren seine Pflege übernahmen.

Nun, Yves Saint Laurent und sein Lebensgefährte haben schon vorher viel Geld und Mühe hineingesteckt. Ich unterstützte sie mit meinen Kenntnissen und wurde schließlich 2001 Generalsekretär der Stiftung zur Instandhaltung des Gartens. 235 Pflanzenarten gedeihen hier nun wieder, darunter auch sehr seltene. Wir haben diesem Ort seinen ursprünglichen Sinn zurückgegeben.

Und der wäre?

Er ist ein Symbol für die Freundschaft zwischen Frankreich und Marokko. In seinem Atelier hat Majorelle hier Illustrationen für Werbekampagnen entworfen, die Europäer bewegen sollten, nach Marokko zu kommen und zu investieren. Er tat dies aus tiefster Überzeugung. Noch heute sind diese Arbeiten aus den Zwanzigerjahren Dokumente für Majorelles Liebe zu Marokko …

und dafür, wie aus der Kolonialmacht Frankreich ein Freund Marokkos wurde?

Auf jeden Fall. Nach dem Abzug der Franzosen haben die Marokkaner lange gebraucht, um diese Kolonialzeit zu verarbeiten. Aber ich war immer der Ansicht, dass neben all den schmerzhaften Erfahrungen auch einige positive Sachen aus dieser Ära hervorgegangen sind. So wie dieser Garten zum Beispiel. Er ist Majorelles Vermächtnis – und nach meiner Ansicht unschätzbar wertvoll.

Das ist er doch sicher auch wirtschaftlich.

Gar keine Frage, wir wollen den Garten nicht nur pflegen, sondern auch vermarkten. Das bedeutet, ihn für mehr Besucher zu öffnen – und zwar nicht nur für die ausländischen. Es ist mir wichtig, dass meine Arbeit von Marokkanern und Ausländern gleichermaßen anerkannt wird …

und auch beide zusammenführt?

Ja natürlich. Der Garten ist auch eine Begegnungsstätte. Nicht zuletzt durch das Museum für islamische Kunst, das sich ebenfalls auf dem Grundstück befindet.

Mit der Privatsammlung von Yves Saint Laurent persönlich.

Er und Pierre Bergé sind große Verehrer der islamischen Kunst. Diese Sammlung liefert dem Besucher einen globalen Überblick. Das heißt, hier findet er Werke nicht nur aus Marokko, sondern aus sämtlichen islamischen Ländern. Jeder kann hier entdecken, auf welche Art sich Künstler dieses Kulturkreises ausgedrückt, wie sie geknüpft, gemalt, getöpfert, gezeichnet haben. Und natürlich finden sich auch Majorelles Werke in einem eigenen Abschnitt.

Sie haben also auch eine erzieherische Mission?

Ja, und dabei sind uns vor allem Kinder sehr wichtig. Um schon früh ihr Interesse für die Umwelt zu wecken, entwickeln wir mit verschiedenen Schulen zusammen entsprechende Projekte. Zum Beispiel kommen Schüler, um zu zeichnen oder zu fotografieren – ein Projekt, das sich „grüne Klasse“ nennt.

Und was lernen ausländische Besucher?

Eine Menge. Nicht nur in unserem Garten. Ganz Marrakesch ist im Grunde eine Begegnungsstätte. Für die Europäer bekommt der Begriff „Zeit“ eine andere Bedeutung. Marokkaner – und ganz besonders die Bewohner Marrakeschs – leben in einer zeitlichen Dimension, die sich völlig von europäischen Vorstellungen unterscheidet. Schon wenn sie aus dem Flugzeug steigen, haben die Marrakesch-Besucher den Stress hinter sich gelassen. Es ist ein anderer Rhythmus, ein anderes Leben. Sie finden hier geistige Klarheit, sie sehen die Schönheit der Stadt.

Und was haben die Einheimischen davon?

Auch die Ausländer in Marrakesch sind aus meiner Sicht eine Bereicherung. Die Marokkaner entdecken durch sie eine andere Kultur und andere Sprachen. Außerdem beflügelt der Tourismus das hiesige Kunsthandwerk. Interessant sind auch die neuen Einflüsse der Europäer, die sich hier niedergelassen haben. All dies ist für uns sehr lehrreich. Einerseits …

Und andererseits?

… muss man in Marrakesch jetzt sehr aufpassen und die richtigen Entscheidungen treffen. Man ist an einem Punkt angekommen, wo die Tourismusentwicklung auch weniger positive Dinge mit sich bringt. Nun ist es an den Marokkanern, auf pädagogische Art und Weise Folgendes zu vermitteln: Marokko ist ein gastfreundliches und offenes Land, neugierig auf andere Kulturen und sehr kosmopolitisch. Aber: Alles lassen wir uns nicht gefallen, alles dürfen sich die Touristen nicht erlauben. Sie sind herzlich willkommen, aber sie dürfen nicht die einheimischen Sensibilitäten verletzen – und ein Desaster hinterlassen, wenn sie wieder wegfliegen. Es wäre wichtig, dass die Verantwortlichen aus Politik, Wirtschaft und dem sozialen Bereich sich zusammensetzen und sich gemeinsam gut überlegen würden, welchen Weg sie einschlagen – nachdem sie die Wünsche und Sorgen der Bevölkerung angehört haben.