In der Not hilft Solidarität
BALKAN Das Wasser in Bosnien geht langsam zurück, das Ausmaß der Schäden wird sichtbar. Die Menschen helfen sich selbst – und sind wütend auf die Politik
„Vielleicht hilft uns die Katastrophe, endlich die politische Stagnation in unserem Land zu überwinden“
STUDENT AUS DOBOJAUS MAGLAJ UND DOBOJ ERICH RATHFELDER
Der nasse Streifen an den Wänden zeigt es an: Bis hierher, rund drei Meter über der Straße, stand das Wasser am Freitag letzter Woche. An den Bäumen sind es die Plastikfetzen, die den ganzen Fluss entlang vom höchsten Wasserstand künden – und auch zeigen, wie viel Müll die Bosna mit sich geführt haben muss.
In der zentralbosnischen Stadt Maglaj hat sich am Dienstag schon die Flut verlaufen. Der Fluss ist gebändigt, in sein Bett zurückgekehrt. Übrig bleibt ein breiter Streifen der Verwüstung. Während die Häuser der malerischen Altstadt mit ihren Moscheen und Kirchen auf dem Burgberg von Maglaj unbeschädigt geblieben sind, ist die tiefer gelegene Neustadt von der Flut betroffen. Vor den Häusern stapeln sich zerstörte Möbel.
Die Bewohner des ersten Stocks haben Glück gehabt. Sie helfen ihren Nachbarn. „Es ist schön, diese Solidarität zu spüren, wir halten zusammen“, sagt eine Anwohnerin. „Die Alten haben gewusst, wo zu bauen ist“, sagt einer der 30 Minensucher, die mit acht Fahrzeugen am Mittag aus Sarajevo gekommen sind.
„Minen suchen wir hier aber keine, die gibt es nur in den Bergen“, sagt er – die Männer wollen beim Aufräumen helfen. Andere sind schon länger da: Studenten aus Sarajevo und Tuzla haben sich die schlimmsten Bezirke vorgenommen, um den abgelagerten Schlamm wegzuräumen.
Zwei Frauen haben seit Montag im Kulturhaus gewirkt. Der Saal ist jetzt gewaschen und geputzt, der Geruch von Desinfektionsmittel hängt in der Luft. „Jetzt muss das alles nur noch trocknen.“ Teile der Eisenbahnbrücke haben sich im Geäst von angeschwemmten Bäumen verfangen.
Die Brücke der Schnellstraße ist zerstört und hat den Weg in das vor allem von Serben bewohnte Doboj unpassierbar gemacht. Der Verkehr aus Lastwagen, Baggern und Autos wird erst seit Dienstagmittag von wild fuchtelnden Polizisten über die uralte Straße rechter Hand des Flusses geleitet.
Auch in Doboj regen sich fleißige Hände. Hier war das Wasser vier Meter hoch gestiegen. Vor der Bibliothek haben Studenten die nassen Buchbestände entsorgt. Die Schalterhalle der Bank wird von Angestellten von Schlamm befreit. Die Wände des Supermarktes sind zerstört, die nassen unbrauchbaren Waren werden herausgetragen. Auch die Wände einer Gummifabrik in Ufernähe haben dem Wasser nicht standgehalten.
Schuldige an dieser Katastrophe möchte der orthodoxe Priester, dessen erst kürzlich eröffnete Kirche schon gesäubert und desinfiziert ist, zunächst nicht benennen. Aber dann bricht es aus ihm raus. „Man hätte nach der Flut im Mai vor 50 Jahren die Dämme erhöhen müssen.“
Die Kritik an den Politikern ist überall zu hören. „Was haben die getan? Nicht einmal gewarnt wurden wir, niemand hat Verantwortung übernommen. Selbst jetzt nicht, wer koordiniert die Aufräumarbeiten?“, fragt eine Professorin, die vor dem Eingang der verwüsteten Fakultät steht.
Junge Studenten aus dem muslimischen Bihac sind in die mehrheitlich serbische Stadt gekommen, um zu helfen. Auf dem trockenen Gelände vor der Synagoge etwas oberhalb des Zentrums machen sie Rast und trinken Mineralwasser, das die katholische Caritas verteilt.
„Vielleicht hilft uns die Katastrophe, endlich die politische Stagnation in unserem Land zu überwinden“, hofft einer der Studenten. Sie waren schon vor einigen Wochen aktiv und haben gegen den Nationalismus, die korrupten Politiker und Parteien demonstriert.
In der Not sei die Bevölkerung zusammengerückt. „Sieh mal, sogar Tennisstar Djokovic hat Geld nicht nur für Serbien, sondern für Bosnien gespendet, für Bosnien, nicht für die serbische Teilrepublik, für uns alle“, strahlt der Student.
Auf Facebook hat darüber eine intensive Diskussion begonnen. Schon sprechen einige von einem neuen jugoslawischen Geist. Doch niemand weiß, wohin das Geld wirklich gegangen ist.
„In der Tat kann die Katastrophe helfen, politisch weiterzukommen“, hofft auch Jovan Divjak, Ikone der Zivilgesellschaft in Sarajevo und Leiter einer Hilfsorganisation, die Studenten aller Seiten mit Stipendien unterstützt. Die Versammlungsbewegung würde wieder gestärkt, zu viel dürfe man aber nicht erwarten. „Sicher ist, dass mit der Katastrophe die Unfähigkeit der herrschenden Politiker offenbar wurde“, erklärt Ejub Ganic, selbst einmal Vizepräsident des Landes und Rektor einer Privatuniversität.