: Sorge in London wegen Giftspuren
Der russische Exspion Alexander Litvinenko ist an einer Poloniumvergiftung gestorben. Die britische Polizei findet Rückstände des radioaktiven Materials und warnt die Bevölkerung. Russlands Präsident Putin sichert Kooperation bei der Aufklärung zu
VON RALF SOTSCHECK
Womit er vergiftet worden ist, weiß man inzwischen. Die Täter aber sind unbekannt. Der russische Dissident Alexander Litvinenko, der nach dreiwöchigem Überlebenskampf in der Nacht zum Freitag in einem Londoner Krankenhaus starb, ist mit Polonium-210 vergiftet worden. Die Herkunft dieses relativ seltenen radioaktiven Isotops sei der Schlüssel zu den Tätern, sagte ein Sprecher der britischen Polizei am Samstag. Der Diebstahl radioaktiven Materials von schlecht gesicherten Atomanlagen in Russland sei ein großes Problem.
Zwischen 1991 und 2002 sind 40 Kilogramm waffenfähigen Urans und Plutoniums sowie 10 Kilogramm Polonium-210 in der ehemaligen Sowjetunion abhandengekommen. Weltweit sind in den vergangenen vier Jahren rund 300 Fälle von versuchtem Schmuggel radioaktiven Materials aufgedeckt worden. Das bereitet den britischen Sicherheitskräften erhebliche Kopfschmerzen, soll sich doch al-Qaida in letzter Zeit verstärkt um solches Material bemüht haben. So ist nun Peter Clarke, einer der höchsten Scotland-Yard-Beamten, mit dem Fall Litvinenko betraut worden.
Erste Untersuchungen haben ergeben, dass das Polonium wohl tatsächlich aus Russland stammt und erst vor kurzem nach London geschmuggelt worden sein kann, da es eine Halbwertszeit von nur 138 Tagen hat. Die Polizei sucht inzwischen alle, die am 1. November in den Bars und Restaurants waren, in denen sich Litvinenko an diesem Tag aufgehalten hatte. Zwar sei eine Kontamination anderer Gäste unwahrscheinlich, aber Urintests sollen Gewissheit bringen. Zuvor hatten die Behören hochgiftige Rückstände an drei Aufenthaltsorten Litvinenkos gefunden.
In London tagte am Freitag das höchste britische Sicherheitsgremium gleich drei Mal. Das Außenministerium erwartet von Russland Kooperation. Der russische Präsident Wladimir Putin, der Litvinenkos Familie sein Beileid aussprach, sagte das zu. Litvinenko hatte ihn in einem Brief, der nach seinem Tod verlesen wurde, für den Giftanschlag verantwortlich gemacht. Doch selbst im britischen Außenministerium glaubt man nicht so recht, dass Moskau die bilateralen Beziehungen wegen eines solch kleinen Fisches wie Litvinenko aufs Spiel setzen würde. Einen britischen Staatsbürger – Litvinenko hatte in diesem Monat seinen britischen Pass erhalten – auf britischem Boden vergiften zu lassen, wäre für Putin schädlicher, als es Litvinenko jemals sein konnte.
Die Polizei führt den Fall bisher nicht als Mord, sondern als „ungeklärten Todesfall“. Offenbar gehen die Untersuchungen in alle möglichen Richtungen: Könnte jemand aus dem Kreis russischer Dissidenten in London, mit denen Litvinenko enge Kontakte hatte, hinter der Tat stecken, um Putin zu diskreditieren? War es vielleicht sogar der spektakuläre Selbstmord eines verzweifelten Regimegegners? Ein Kreml-Mitarbeiter wies am Wochenende darauf hin, dass merkwürdigerweise meist dann ein Dissident umgebracht wird, wenn Putin auf einer wichtigen Auslandsreise ist. Zurzeit nimmt er in Helsinki an den Verhandlungen zwischen der EU und Russland teil.