Der heitere Ernst der Opposition

DDR An seinem 60. Geburtstag wurde des 1999 verstorbenen Jürgen Fuchs gedacht. Seiner literarischen Methode gelang es, präzise den DDR-Unterdrückungsapparat zu beschreiben

Die demokratischen Oppositionellen liefen nicht mit Leichenbittermiene herum

Jürgen Fuchs war ein außergewöhnlicher Mensch. Unerbittlich gegenüber der realsozialistischen Unterdrückung, aber kritisch auch gegenüber den eifernden Apologeten des „freien Westens“. Keine Phrasen, sondern genaue, oft kleinteilige Beobachtungen der Lebenswirklichkeit in der DDR, das kennzeichnete sein Schreiben.

Jürgen Fuchs lebte zurückgezogen, war fast scheu. Aber äußerst präsent, wenn er, der nach Westberlin Zwangsexilierte, öffentlich die Menschenrechte verteidigte oder wenn er konspirativ die demokratische Opposition in der DDR unterstützte. Sein erstes, nach Stasi-Haft und Abschiebung nach Westberlin erschienenes Buch, die „Gedächtnisprotokolle“, war ein erschütternd präzises Zeugnis der Zermürbungsmethoden der Staatssicherheit. Wie die Menschen nicht nur am Leib, sondern vor allem an der Seele durch den Unterdrückungsapparat Schaden nahmen, aber auch, wie sie sich ihm widersetzten, blieb das Thema seiner Romane, Erzählungen und Gedichte bis zu seinem frühen Tod. Er starb, erst 49-jährig, 1999.

Am 19. Dezember wäre er 60 Jahre alt geworden. Um sich seiner zu erinnern und ihn zu feiern, versammelten sich am vergangenen Donnerstag dichtgedrängt Freunde und Bewunderer in der Stiftung „Aufarbeitung der SED-Diktatur“. Diese Institution richtete gemeinsam mit dem Deutschlandfunk die Feier aus. Podiumsgäste waren Fuchs’ Ehefrau Lilo, Herta Müller, Ralph Giordano und Wolf Biermann. Zahlreiche der ehemaligen Bürgerrechtler und Schriftstellerkollegen aus Jena und den beiden Berliner Hälften sorgten für eine hochgestimmte Veteranen-Atmosphäre.

Poetische Dokumentation

Herta Müller setzte Fuchs’ schriftstellerische Arbeit, die oft als bloßes politisch-biografisches Protokoll missverstanden wurde, in ihr literarisches Recht ein. Sie schilderte die knappe, um Detailgenauigkeit bemühte, durchsichtig klare Prosa von Fuchs als „poetische Dokumentation“. Jede Winzigkeit erhalte ihren Eigenwert, alles bleibe im Besitz seines Klarnamens und so, wie es wirklich passierte – „als ob die Wirklichkeit sich in diesen Texten selbst aufgeschrieben hat“. Die politischen Aussagen Herta Müllers fielen gegenüber ihrer subtilen Textanalyse allerdings etwas ab. Ist es wirklich so, dass man, wenn man Jürgen Fuchs gelesen hat, über die DDR „nichts mehr zu sagen“ braucht? Ist dann wirklich „alles klar“?

Ralph Giordano, der Jürgen Fuchs kurz nach dessen Abschiebung in den Westen kennenlernte, war sofort eingenommen von dessen „gläserner Ehrlichkeit“. Er habe gespürt, dass er einen Menschen vor sich hatte, von dem er „nie enttäuscht werden würde“. Trotz des großen Altersunterschieds schien es Giordano, als ob er der Junior sei, und Fuchs der Senior. Giordano beklagte, dass Fuchs’ Beharren darauf, die realsozialistischen Unterdrücker zur Verantwortung zu ziehen, vergeblich gewesen sei. In Deutschland „sind die Täter ein weiteres Mal davongekommen. Sie brauchen nichts zu fürchten.“

Auch Wolf Biermann sprach von Fuchs als einem „jungen Weisen“. Er sei ein ernster Mensch gewesen, aber nicht triefend ernst, sondern heiter ernst. Man darf, so Biermann, sich die demokratischen Oppositionellen in der DDR nicht als Leute vorstellen, die nur mit Leichenbittermiene herumliefen. Hatten sie denn keine Angst? Doch. Aber die Frage war, ob man von der Angst überwältigt wird oder ob man sie selbst überwältigt.

Lilo Fuchs, Jürgen Fuchs’ Ehefrau, erinnerte sich, wie gern ihr Mann ausschließlich Schriftsteller und Dichter gewesen wäre, wie er sich aber klaglos den Erfordernissen der politischen Arbeit beugte. Fuchs war, dies betonte auch Rainer Eppelmann, in Westberlin einer der wichtigsten Mittelsmänner zur demokratischen Opposition in der DDR. Fuchs versorgte sie mit Schriften, auch über die demokratischen Bewegungen in den anderen realsozialistischen Ländern. Entsprechend dicht war das Netz, das die Stasi in Westberlin über ihn ausspannte. Die Familie Fuchs wurde zum Opfer zahlreicher „Zersetzungsmaßnahmen“, teilweise nur lästig, teilweise aber auch lebensbedrohend. Bis heute ist der Verdacht nicht ausgeräumt, dass er während der Haft einer Bestrahlung ausgesetzt war, die schließlich zu seiner tödlichen Erkrankung führte.

Die Gedenkveranstaltung für Jürgen Fuchs war mit einer Premiere verbunden. Deutschlandfunk und Deutschlandradio Kultur präsentierten ein Hörbuch, „Das Ende einer Feigheit“, Texte von Jürgen Fuchs, von ihm selbst gelesen. Zu hören sind ferner ein Interview, eine Interpretation Herta Müllers sowie ein Lied Wolf Biermanns. Der mühseligen Arbeit der Recherche für das Hörbuch hat sich Doris Liebermann unterzogen, selbst eine ehemalige demokratische Oppositionelle in der DDR. CHRISTIAN SEMLER