: Das Miniaturkaufhaus der kleinen Dinge
taz-Serie „Besuch in der Marheinekehalle“ (Teil 1): Angela Spreu verkauft auf kleinstem Raum ein riesiges Sammelsurium von Haushaltswaren. Das Angebot ist so ausgefeilt, dass sich Kunden geradezu freuen, wenn sie einen Artikel bemerken, der fehlt
von Hans W. Korfmann
Angela Spreu ist so eine Frau, wie man sie sich vorstellt in einer Markthalle. Sie spricht in einem dezenten Berliner Tonfall, stemmt auch mal die Arme in die Hüften, lacht schallend und ist um Antworten nie verlegen. Wenn einmal, was selten genug vorkommt, ein Kunde etwas verlangt, das ihr tatsächlich fehlt in ihrem erstaunlichen Sammelsurium, dann sagt sie: „Das haben wir leider gerade nicht da.“ Wenn die Kunden nach einer Viertelstunde verzweifelten Suchens nach dem „Dingsbums“ fragen, mit dem man, „na Sie wissen schon, die alten Kalkflecken“, und dann mit Händen und Füßen die Luft zu scheuern anfangen, dann weiß Angela Spreu sofort: Da helfen nur Zitronensäure und ein Schaber. Und wenn sich einer einmal überhaupt nicht verständlich machen kann, dann sagt sie vielleicht: „Also, komm Se erst ma rin hier.“ Dann gibt sie dem Kunden einen Bleistift und ein Blatt Papier und lässt sich aufzeichnen, was sich mit der deutschen Sprache offensichtlich nicht beschreiben lässt.
Mit „rin“ meint sie eine dieser kleinen Nischen ihres Standes, in denen sich so ziemlich alles findet, was der Mensch im Haushalt manchmal so dringend braucht. „Also, Sie haben da ja ein Sortiment auf kleinstem Raum, das glaubt man gar nicht!“, wundert sich ein älterer Kunde. Fasziniert betrachtet er die verschiedenen Artikel, die auf einem nur ein Meter hohen Regal nach einer noch unverständlichen Ordnung einsortiert wurden: Badeschuhe neben Würfeln, Kartenspielen und Fidibus Ofenanzündern, neben Raumduftspendern und einer Einwegkamera, Nagelknipsern und Tempo-Taschentüchern, Mottenschutz und Taucherbrillen, Autoleselampen, Nähgarn und Karabinerhaken. „Finden Sie immer alles gleich?“, fragt der ältere Herr. Frau Spreu nickt. „Fantastisch!“, murmelt der Mann, und Frau Spreu sagt: „Wir geben uns Mühe.“
Tatsächlich ist der Haushaltswarenstand in der Markthalle am Marheinekeplatz so etwas wie ein Miniaturkaufhaus. Auf knapp 100 Quadratmetern gibt es eine Werkzeugabteilung mit Nägeln und Schrauben und Klebebändern, es gibt eine Sanitärabteilung mit Ventilen, Siphons, Wasserhähnen, Dichtungen und Hahnverlängerungen mit Brause. Und wenn jemand nach Fittichen fragt, dann weiß Angela Spreu auch sofort, was gemeint ist. Es gibt die Elektroabteilung mit Kabeln, Steckern, Sicherungen, Glühbirnen und Fassungen, es gibt die Backabteilung mit Teigrollen, Springformen, Kuchenblechen, Mehlschaufeln, Mandelreiben und Zuckerstreuern – geradezu ein Paradies für die leidenschaftliche Hausfrau. Selbst die zu Weihnachten gefragte Gugelhupfform kennt die universelle Fachberaterin.
Auch die Kochabteilung mit Töpfen, Pfannen, Besteck, Geschirr und unzähligen praktischen Küchenwerkzeugen lässt so manches Hausfrauenherz höher schlagen. Daneben ist die Ecke mit dem Fahrradzubehör, und dann gibt es noch Seile, Ketten und Wäscheklammern, es gibt Badezimmerteppiche und 500 Meter verschiedenfarbige Lackfolien für die alte Küche, es gibt Blumentöpfe in allen Farben und Größen, und es gibt einen 50 Zentimeter langen ferngesteuerten Formel-Eins-Boliden und die blau leuchtende Nebelschale für 18,90 Euro. Es gibt Gartenzwerge und Porzellanfiguren, es gibt Gummieidechsen und Sparschweinchen, Sparfrösche, Sparkühe, Sparautos und Sparfußbälle. Und es gibt eine Ramschecke wie bei Karstadt: den so genannten Lagerverkauf. Da warten Abfalleimer aus rosa oder himmelblauer Plaste auf ein neues Zuhause, gläserne Vasen und tönerne Wespenfänger für 99 Cent, praktische Besteckteiler, Gläser und Kaffeetassen, Gewürzregale oder Wäschekörbe, oder ein Messerset für 6 Euro.
Drei bis vier Zentimeter dick ist das Buch, in dem die Listen mit all den Artikeln stehen, die Angela Spreu bei der Inventur durchgehen muss. Trotzdem kommt es vor, dass ihr tatsächlich etwas fehlt im Sortiment. Dann freuen sich die Kunden: „Endlich hab ich Sie erwischt.“ Oder: „Das hätte ich mir im Leben nicht träumen lassen, dass Sie mal sagen: ‚Hab’ ich nicht‘.“
Das klingt wie Musik in den Ohren der Haushaltswarenverkäuferin, die seit 16 Jahren in der Halle Dienst tut. Man kennt die resolute Person; nicht zufällig ist sie gemeinsam mit Herrn Brünger vom spanischen Spezialitätengeschäft El Narranco zur Hallensprecherin gewählt worden. Sie sagt, was sie denkt. Und wenn eine Zeitung schreibt, dass die Mehrheit der Kunden gegen eine Modernisierung der Halle wäre und das vorgeschlagene Konzept des Betreibers Berliner Großmarkt GmbH ablehne, wie das der Mieterrat in einer Studie festgestellt hat, dann ruft sie so lange in der Redaktion an, bis man sie dort anhört. Und erklärt, mit welchen Methoden diese „Suggestivumfrage des Mieterrats“ zustande gekommen sei, und dass zumindest die Händler in großer Mehrheit einer Modernisierung und auch dem Konzept in vielen Punkten zustimmen.
Angela Spreu ist Marktfrau. Sie schreit nicht, aber sie sagt es geradeheraus. Sie ist eine Institution, und sie wird auch nach der Renovierung noch hier sein. Obwohl die fetten Jahre vorüber sind, da macht sie sich keine Illusionen. Nicht einmal damals, vor sieben Jahren, als sie den Stand von Herr Montag übernahm, der sich mit 50 zur Ruhe setzen konnte, weil er schon genug verdient hatte, um sich einen ruhigen Lebensabend zu erlauben, machte sie sich Illusionen. Dort zwischen den Klobürsten und Waschmaschinenschläuchen, zwischen Scheuerbürsten und Schwämmen, zwischen Schuhwichse, Gummihandschuhen und WC-Duftgel gehen die Illusionen ein wie Blümchen in zu saurer Erde. „Es ist nicht leicht heutzutage“, in der Halle nicht und woanders auch nicht. „Manchmal kauf ich die Sachen teurer ein, als Aldi die verkauft!“
Aber sie hat ihren Spaß. Wenn jemand kommt und sagt, er hätte gern einen „Kirschentferner“ anstatt Kirschentkerner, dann lacht sie so laut, dass man sie drüben beim Hähnchenstand noch hört. Und wenn einer sagt, er käme aus dem Wedding, er hätte gehört, hier gebe es noch diese Eierformen, mit denen man die Spiegeleier in Blümchenform gießen könne, dann ist sie sogar ein bisschen stolz. Es hat sich nämlich herumgesprochen, dass es hier in der Marheinekehalle solche Haushaltsraritäten noch gibt. Emaillierte weiße Schüsseln mit blauem Rand zum Beispiel oder den gusseisernen Fleischwolf, die geflochtenen Teppichklopfer, Weckgummis für die alten Einmachgläser, die Kräutermühle, die klebrigen Rollen der Fliegenfänger oder auch die originalen Eierlöffel und Eierbecher aus rotem, blauem und grünem Plastik. Das gibt’s nicht mehr überall. Und deshalb kommen die Leute manchmal sogar aus Mitte oder aus Moabit. Und sie kommen nicht nur, weil sie dringend etwas brauchen. Manche kommen, weil sie auf der Suche nach Geschenken sind. Für die Ehefrau vielleicht, zur Silbernen Hochzeit, eine kleine Aufmerksamkeit für die Küche.