: Mit dem Zweiten und so
BIMEDIAL Das ZDF weiß: Wer surft, der zappt nicht – und nutzt für seinen Thriller „App“ (22.15 Uhr) nun auch den Second Screen
VON JENS MÜLLER
Endgültig vorbei die Zeiten, da das ZDF sich als Kukident-Sender verspotten lassen musste. Mit einem groß angelegten Befreiungsschlag wird sich der Sender heute uneinholbar an die Spitze der digitalen Boheme katapultieren. Das ist der Plan.
Zu diesen gehört auch das im Internet obligatorische Kumpel-Du. Es sollte Claus Klebers öffentlich-rechtliches Publikum nicht weiter irritieren, wenn er es bald nur noch duzen wird – den Anfang macht heute Abend der Film „App“: „Bitte hole dein Smartphone oder Tablet“, sieht der ZDF-Zuschauer zu Beginn eingeblendet, und: „Aktiviere die App“. Second Life war vorgestern, heute ist Second Screen und das ZDF zeigt den nach eigenem Bekunden ersten Film mit dieser Technologie, als „Free-TV-Premiere“.
Denn wenn wir ohnehin den lieben langen Tag auf unsere kleinen Displays starren, also auch – wie die ZDF-Marktforschung herausgefunden hat – beim ZDF-Gucken, dann kann die proaktive Lösung dieser Aufgabe nur lauten, dass der Content auf dem kleinen Bildschirm auch vom ZDF kommen muss. Das ist der Plan: Der Zuschauer soll beim Filmgucken nicht länger seinen eigenen Mail-Account checken, sondern die Textnachrichten lesen, die sich die Protagonisten im Film schicken.
Erotik und Gewalt
Und auf diesem Weg, wie die schöne, junge Heldin (Hannah Hoekstra) des – übrigens in den Niederlanden (Regie: Bobby Boermans) und fürs Kino gedrehten – Films, das Bild von dem großkalibrigen Revolver geschickt bekommen, mit dem sich kurz darauf ihr Professor das Hirn wegpusten wird. Zimperlich ist das neue Computerwelt-TV nicht. Der Film fängt schon damit an, dass sich eine Frau vor den Zug schmeißt. Internet, das bedeutet aus Sicht der Macher vor allem Gewalt und Erotik: Die Heldin steht in einem Elektronikmarkt, plötzlich zeigen sämtliche Bildschirme – auch das Smartphone des Zuschauers – sie zuhause unter der Dusche.
Wie kommt’s? Die Heldin findet nach einer Studentenfete auf ihrem Handy eine neue App namens (und mit dem Erscheinungsbild einer) „Iris“, die sie, anders als der ZDF-Zuschauer, selbst nie installiert hat. Die App scheint zunächst ganz nett und sehr hilfreich zu sein, erweist sich dann aber als immer übergriffiger, ist sowohl für den Homeporno im Elektronikmarkt als auch für den Suizid des Professors verantwortlich. Die App ist wehrhaft und mörderisch; alle konventionellen Möglichkeiten, sie wieder loszuwerden, schlagen fehl.
„Iris“ hat natürlich Vorbilder: jüngst das wie Scarlett Johansson sprechende Betriebssystem „Samantha“ in Spike Jonze’ romantisch-liebevoller Dystopie „Her“ und schon vor fünf Jahrzehnten Kubricks nicht abgeschaltet werden wollender Supercomputer HAL. Und natürlich kann „App“ den Vorbildern nicht das Wasser reichen, denen es nicht einfach nur darum ging, neue technische Gimmicks in Szene zu setzen und eine mitunter konfuse Handlung dem unterzuordnen. Ein Bildschirm oder zwei – ein guter Film muss die Technik ausnutzen, nicht umgekehrt.
App mag keine Pausen
Technisch funktioniert die Unterhaltung auf zwei Bildschirmen so, dass die App (des Zuschauers) über das eingebaute Mikrofon im Smartphone den Filmton entschlüsselt und darauf reagiert. Das soll laut ZDF unabhängig von der Sendezeit funktionieren, aber dass der Rezensent den Film immer wieder mal angehalten hat, hat der App gar nicht gefallen. Merke: Apps haben ihren eigenen Kopf und wollen nicht immer so wie ihre Programmierer. Man denke an Jörg Pilawa und die „Quizduell“-App der ARD.
Die beiden App-Versuche zeigen, dass die Zeiten, als ARD und ZDF die großen Innovationen noch gemeinsam anstoßen wollten, vorbei sind. 1991 war Oliver Hirschbiegels „Mörderische Entscheidung“ der erste TV-Krimi, der auf zwei Fernsehkanälen (ARD und ZDF) gleichzeitig aus zwei verschiedenen Perspektiven erzählt wurde. Ein epochales Ereignis: der wirklich erste Second-Screen-Film. Längst vergessen, auch beim ZDF.
Apps und Infos: appfilm.zdf.de