Große Töne, kleine Bilder

HIPPEN RÄT AB Die Adaption von Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ durch Jens Neubert ist ein unbeholfener Versuch, die Oper und das Kino miteinander zu verbinden

Der Film wird hier zu sehr der Oper untergeordnet und so fehlt eine kongeniale künstlerische Souveränität bei den Bildern, die oft wie reine Illustrationen wirken

VON WILFRIED HIPPEN

So genau will man es gar nicht sehen, wenn ein Opernsänger theatralisch seine Arie schmettert. Alle Techniken, die er sowohl gesanglich wie auch schauspielerisch beherrscht, sind für die große Bühne entwickelt worden. Auch auf den billigen Sitzen sollen der Gesang und das Drama wirken. In einer Nahaufnahme wirken sie dagegen übertrieben, ja absurd. An diesem grundsätzlichen Problem mühen sich all jene Regisseure ab, die versuchen, Opern für das Kino zu adaptieren. Dabei ist der scheinbar naivste Weg vielleicht auch der raffinierteste: Man bleibt mit der Inszenierung auf der Bühne, betont noch die Künstlichkeit der Vorführung und rückt dabei den SängerInnen nicht zu nah auf den Pelz. So hat es Ingmar Bergmann mit seiner bezaubernden „Zauberflöte“ gemacht, und so gelang es auch Robert Dornheim, bei „La Boheme“ die Tränen fließen zu lassen.

Der Regisseur Jens Neubert geht in der Adaption von Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ den umgekehrten Weg und hält dies für solch eine originelle Neuerung, dass er gleich davon spricht, ein neues Genre kreiert zu haben: die Filmoper. Er drehte an „Originalschauplätzen in Sachsen“ wie der Wolfsschlucht, in historischen Gebäuden in der Gegend um Dresden und mit vielen Außenaufnahmen im Wald und auf der Wiese. Auf der Bildebene inszeniert er die Geschichte des Jägers Max, der nach einem uralten Brauch mit einem „Probeschuss“ die Hand der geliebten Agathe gewinnen muss und sich dafür in einem faustischen Pakt von dunklen Mächten „Freikugeln“ gießen lässt, wie einen Spielfilm.

Aber diesem historischen Drama kommt ständig die Oper in die Quere, denn dies ist eine musikalisch hoch ambitionierte Produktion, für die das London Symphony Orchestra unter Daniel Harding in den Abbey Road Studios einspielte, Opernstars wie Franz Grundheber, Julian Banse, René Pape und Michael König besetzt wurden. Dazu singt der Rundfunkchor Berlin. Natürlich kann da die Ouvertüre genauso wenig gekürzt werden wie eine der wunderschön gesungenen Arien. So passiert etwas und dann wird zehn Minuten darüber gesungen. Dramaturgisch herrscht Stillstand, und dieses Vakuum müsste durch ein überzeugendes Konzept in der Bildregie gefüllt werden. Aber solch eine kongeniale künstlerische Souveränität bei den Bildern fehlt. Diese sind eindimensional, wirken oft wie reine Illustrationen und die Montage, durch die ein Film ja seinen eigenen Rhythmus bekommt, ist erstaunlich unmusikalisch. Der Film wird hier zu sehr der Oper untergeordnet, es wird nur bebildert, und dabei sind dann die Nahaufnahmen von singenden Mündern fatal.

Wie beliebig die Wahl der filmischen Mittel ist, zeigt sich in der nächtlichen Szene in der Wolfsschlucht, bei der um Mitternacht der „schwarze Jäger Samiel“ heraufbeschworen wird, um den Pakt zu besiegeln. Für diese Gruselszene werden plötzlich einige billige Spezialeffekte aus der Trickkiste des Horrorkinos hervorgeholt, die nicht nur lächerlich, sondern im Kontext mit den sonstigen Bemühungen um historische Authentizität auch anachronistisch wirken.

Wie so oft im Theater mögen für Opernfreunde die Mängel der Inszenierung durch die Qualitäten der musikalischen Interpretation erträglich werden, aber ein neues, junges Publikum wird die Oper durch „Der Freischütz“ sicher nicht gewinnen. Im Grunde ist sie ja auch schon längst im Film aufgehoben und der Puccini von heute heißt Ennio Morricone.