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Archiv-Artikel

Von Engeln und Kandelabern

ISTANBUL Endlich ist die Hagia Sophia, Istanbuls Publikumsmagnet, wieder von Baugerüsten befreit. Andere Wiederherstellungsprojekte hatten weniger Glück

Tatsächlich gibt es 2011 mehr zu sehen als 2010, weil die meisten Großbaustellen ihrem erfolgreichen Ende entgegengehen

Nach fast 18 Jahren Bautätigkeit ist jetzt das berühmteste Baudenkmal Istanbuls, die gut 1.500 Jahre alte Hagia Sophia, wieder ohne Abdeckplanen und Baugerüste zu besichtigen. Eigentlich hatte die restaurierte „Kirche der Weisheit“ einer der Glanzpunkte der Kulturhauptstadt 2010 sein sollen, doch wie viele andere Projekte des Kulturhauptstadt-Jahres waren auch die Arbeiten an der Hagia Sophia zeitlich stark in Verzug geraten.

Trotzdem präsentierte der Direktor des Museums, Haluk Dursun, jetzt kurz vor Toresschluss noch stolz sein Werk. Tatsächlich ist der Anblick überwältigend, den der berühmte Bau nun nach seiner Wiederherstellung im Inneren bietet. Der gigantische Raum mit seiner berühmten Kuppel wird erhellt durch Dutzende wiederhergestellter Kandelaber aus osmanischer Zeit, die wieder stärker daran erinnern, dass die einstige Hauptkirche des byzantinischen Reichs nach der Eroberung Konstantinopels 1453 gut 500 Jahre auch als Moschee genutzt worden war, bevor sie 1935 zum Museum erklärt wurde.

Andererseits heben die in den letzten Jahren in mühsamer Kleinarbeit wieder freigelegten vier Engel in der Rotunde der Kuppel den christlichen Charakter des Baus auch wieder hervor. Besonders stolz ist Haluk Dursun, dass es gelungen ist, ein Engelsgesicht wieder zu rekonstruieren. Von den vier Engelmosaiken waren zwei schon immer gesichtslos, während das dritte so zerstört ist, dass man es nicht mehr darstellen konnte.

Insgesamt besticht der gesamte Innenraum durch seine wohl weltweit einmalige Synthese christlicher und islamischer religiöser Kunst. Dort, wo früher einmal der Altar hinter einer Ikonenwand stand, ist nun die nach Mekka weisende Gebetsnische. In der Apsis darüber strahlt immer noch das Mosaik der Gottesmutter mit ihrem Kind auf dem Schoß.

Eine kleine Sensation hatte Haluk Dursun auch noch zu bieten. Erstmals seit der Eroberung 1453 ist das gigantische marmorne Taufbecken, das die Osmanen ins Depot verbannt hatten, wieder zu sehen. An einem geschützten Platz im Lichthof kann sich ab dem Frühjahr wieder jeder Besucher ein Bild davon machen, wie die byzantinischen Kaiser die Stufen in das große Becken aus Marmor hinunterstiegen.

Mit der Hagia Sophia erstrahlt nun nicht nur das meistbesuchte Denkmal Istanbuls wieder in neuem Glanz (3 Millionen Besucher in diesem Jahr), auch die berühmteste Moschee, die Süleymaniye Camii, wurde nach jahrelanger Bauzeit im Oktober wieder neu dem Publikum übergeben.

Während so einige der wichtigsten historischen Bauten der Stadt mit dem Geld, das für den Kulturhauptstadtevent zur Verfügung stand, repariert und restauriert werden konnten, gestaltete sich die Wiederherstellung der Oper als einziges Desaster. Statt der angekündigten Opernaufführungen, mit denen Istanbul seinen europäischen Charakter unterstreichen wollte, gab es lediglich Aufführungen vor Gericht um Baugenehmigungen, Geld und Kompetenzen. Bis heute dämmert das Opernhaus am zentralen Taksim-Platz ungenutzt vor sich hin.

Trotzdem zog Sekib Avdagic, Chef der Kulturhauptstadt-Agentur, am Ende eine positive Bilanz. Die Besucherzahlen der Stadt erreichten 2010 einen neuen Rekord. Avdagic ist davon überzeugt, dass das Kulturhauptstadt-Jahr Istanbul als Tourismusziel auch nachhaltig unterstützt hat, und das war schließlich das wichtigste Ziel überhaupt. Tatsächlich gibt es 2011 mehr zu sehen als 2010, weil nun die meisten Großbaustellen ihrem erfolgreichen Ende entgegengehen. Als Dreingabe gibt es im kommenden Herbst noch eine Kunstbiennale.

JÜRGEN GOTTSCHLICH