Exotik und Esel

DOKU Zum 12. Mal zeigt das Göttinger International Ethnographic Filmfestival Kultur- und Sozialdokumentationen zu ganz unterschiedlichen Themen

„Der Film ist die Wahrheit 24-mal in der Sekunde“: Jean-Luc Godards berühmter Satz ist paradox, denn natürlich ist keine andere Kunstform so verlogen wie das Kino. Aber es kann auch kein völlig unwahres Filmbild geben: Selbst wenn es noch so raffiniert manipuliert ist, dokumentiert es eben doch etwas von der bereits vergangenen Welt.

Diese bewahrende Qualität macht den Film zu einem wertvollen Werkzeuge der Sozial- und Kulturwissenschaften – allzu großer künstlerischer Ehrgeiz der Filmemacher ist da eher kontraproduktiv. Und so ist auch für Beate Engelbrecht der Inhalt wichtiger als die Form, wenn es um die Auswahl der Filme für das „International Ethnographic Filmfestival“ in Göttingen geht. Als rein akademisch will die Festivalleiterin das dortige Programm aber auch nicht verstanden wissen: Den „menschlichen Zugang zu den Themen“, so nennt sie die entscheidende Qualität des nun in Göttingen Gezeigten.

Insgesamt 58 Dokumentationen werden dort an bis Sonntag zu sehen sein, die möglichst konkret und tief in das jeweilige Thema einführen wollen – also keine Fernsehformate mit Erzählern, unterhaltsamen Dramaturgien und schönen Bildern. Hier wird auch nicht wie üblich zwischen Kurz- und Langfilmen unterschieden: Weil diese Filme nicht auf kommerzielle Verwertung hin konzipiert sind, gilt bei ihnen auch das klassische Kinomaß von 90 Minuten nicht.

Göttingen ist sicher kein Publikumsfestival, aber seit Jahren reisen Fachkollegen von anderen Universitäten an, so dass eine eingeschworene Gemeinde gemeinsam Filme ansieht und diskutiert. Von den 200 Plätzen in der Paulinerkirche wird so wohl auch in diesem Jahr wieder gut die Hälfte besetzt sein.

Am heutigen Mittwoch beginnt das Festival mit einem Wettbewerb für Studenten, und die 28 dabei gezeigten Arbeiten machen eine große thematische Bandbreite deutlich: So ist „Almut“ von Zoe Aiano und Leyla Hoppe das Porträt einer Flaschensammlerin in Berlin, während Srdjan Keca aus Serbien in „A Letter To Dad“ den Tod seines Vaters verarbeitet. In „They Play Like Girls“ stellt Kathrin Meyer zwei türkische Frauenfußballmannschaften vor.

Das Klischee vom ethnografischen Film, der exotische Sitten und Gebräuche ausstellt, ist lange überholt: „Gringo Trails“ beschäftigt sich mit den Reisegewohnheiten von Rucksacktouristen, in „About Men“ geht es um eine Männergruppe, die wöchentlich Ängste und Sorgen teilt. In „Hearsay“ beschreiben Geburtsblinde ihre Ideen von Licht und Farbe und „Donkeymentary“ schließlich ist auf einer kenianischen Insel gedreht worden, auf der es nur zwei Autos gibt – aber 6.000 Esel. Klingt gar nicht so akademisch.  HIP

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