: Die Revolution am Ziel. Oder?
UKRAINE I Bei den Aktivisten des Kiewer Maidan: Über die Wahlen sind sie so halbwegs zufrieden, aber den Platz räumen wollen sie nicht. Denn die Zukunft macht ihnen Sorgen
WANJA, AKTIVIST DER ERSTEN STUNDE
AUS KIEW BARBARA OERTEL
Die Cafés und Restaurants rund um den Kiewer Maidan sind am frühen Abend gut besucht. In einem krimtatarischen Restaurant feiert eine Gruppe mit reichlich Alkohol lautstark Geburtstag, direkt neben einem Sushi-Imbiss. Lächelnde Touristen lassen sich vor den Fotos der Getöteten der Proteste fotografieren oder posieren neben Plastikboxen, wo für die Hinterbliebenen Geld gespendet werden kann.
Ein paar Dutzend Zelte stehen noch auf dem Platz, zwischen Bergen von Autoreifen, Schutt, Holzbohlen und Pflastersteinen. Rund 300 Menschen halten hier die Stellung. Es ist auffallend ruhig. Die meisten Helden des Maidan sind offensichtlich müde und haben sich bereits zurückgezogen. Nur vor einigen wenigen der improvisierten Unterkünfte sitzen ein paar Frauen und Männer auf Plastikstühlen, vor sich Bier oder Kaffee.
Roman stammt aus dem westukrainischen Iwano-Frankiwsk und ist seit Januar auf dem Maidan. „Jetzt haben wir endlich einen legitimen Präsidenten“, sagt er. „Und es hat mich sehr gefreut, dass so viele Menschen wählen gegangen sind und die Abstimmung gut verlaufen ist. Das ist auch ein Resultat des Euromaidan.“ Dass mit Petro Poroschenko ausgerechnet ein Oligarch neuer Präsident wird, stört den 52-jährigen Bauarbeiter nicht. Aber jetzt wolle er erst einmal Ergebnisse sehen. Daher werde er vorerst weiter auf dem Platz bleiben, der für die Protestbewegung der Ukraine steht.
An eine gewaltsame Räumung des Maidan glaubt Roman nicht. „Auf keinen Fall. Unser neuer Bürgermeister Vitali Klitschko war ja selbst ständig hier und hat gemeinsam mit uns für unsere Ideen gekämpft“, sagt er.
Sein Zeltnachbar, ein junger Mann mit Badeschlappen und Bermuda-Shorts, betrachtet den Wahlausgang weit weniger optimistisch. Wanja ist 29 Jahre alt. Er kommt ebenfalls aus der Westukraine und hat einen Monat länger „Maidan-Erfahrung“ als Roman. An der Wahl am Sonntag konnte er nicht teilnehmen, weil seine Dokumente bei dem Brand des Gewerkschaftshauses neben dem Maidan am 27. Februar vernichtet wurden. Leid tut ihm das nicht. „Bei den Präsidentschaftswahlen wurde doch nur ein Debiler durch einen anderen Debilen ersetzt“, findet er. „Poroschenko ist prorussisch, die Hälfte seiner Geschäfte wickelt er in Russland ab. Alles bleibt beim Alten. Ich erwarte nichts Gutes.“
Auch Wanja will auf dem Maidan bleiben. „Immerhin“, sagt er, „haben wir mit unseren Protesten bereits einige demokratische Ziele erreicht und die müssen wir jetzt verteidigen.“
Noch während Wanja redet, laufen einige Uniformierte vorbei. „Sehen Sie mal, die da sind zum Beispiel aus Donezk und Saparosche. Wir sind zwar nicht mehr viele, aber hier steht noch die ganze Ukraine auf dem Platz“, sagt ein Mann, der offensichtlich das Gespräch mitangehört hat. Juri Byk, wie er sich vorstellt, ist Lemberger und von Anfang an auf dem Maidan dabei. Um den Hals trägt der 53-Jährige, der mindestens 20 Jahre älter aussieht, eine Plastikkarte. Diese weist ihn als einen der Kommandanten der Samooborona aus, der Selbstverteidigungseinheiten des Maidan. „Ich habe einen Eid geschworen, für mein Vaterland zu kämpfen“, sagt Byk und betont, dass die Samooborona keiner politischen Partei nahestehe. Solange eine russische Invasion im Osten drohe, müssten er und die anderen die Ukraine verteidigen. Will heißen: auf dem Maidan ausharren.
Poroschenko und Klitschko seien schon tolle Kerle, findet Byk. Von ihnen erwartet er jetzt, dass sie aus der Ukraine ein prosperierendes Land machten. „Wenn das nicht passiert“, sagt er, „gibt es einen neuen Maidan.“