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Archiv-Artikel

Tauben überfliegen alles

Ästhetik als eine Form, den Protest zu organisieren: Okwui Enwezor kuratierte die 2. Internationale Biennale für Zeitgenössische Kunst in Sevilla. Deutlich möchte sie Fanal für eine politische Kunst sein

Grenzen verschwinden, wo sie den Kapitalfluss behindern, und werden befestigt, wo Exklusivität gefährdet ist. Viele Arbeiten antworten darauf

VON ANDI SCHOON

Das Kartäuserkloster Santa Maria de las Cuevas gehört zu den architektonischen Schmuckstücken Sevillas. Es thront jenseits des Guadalquivir, inmitten bizarrer Überbleibsel der Expo 1992. Genau hier plante Christoph Kolumbus seine Expeditionen, die der Stadt den Weg zu großem Reichtum aus den Kolonien ebneten. Welch eine Stätte für die 2. Internationale Biennale für Zeitgenössische Kunst, die ganz im Zeichen der Kritik an der neoliberalen Ausbeutung steht.

Leitmotive der Schau sind das weltweite Verblassen regionaler Charakteristika und der willkürlich geregelte Zugang zum Wohlstand. „The Unhomely: Phantom Scenes in Global Society“ trägt deutlich die Handschrift Okwui Enwezors, der auch die letzte Documenta kuratierte. Doch verglichen mit Kassel scheint Sevilla für ein solches Unterfangen der interessantere Ort, ist er doch von so widerstrebenden historischen Linien durchzogen. Es gibt ja nicht nur die stolzen Entdecker, die Stadt ist auch nah an Nordafrika.

Über 500 Jahre herrschten in Sevilla die Mauren, und deren bunte Wandfliesen und formvollendete Gipsornamente sind noch heute vielerorts zu sehen - auch im Kloster Santa Maria de las Cuevas. Dort trifft dieser Tage altes Wissen auf neue Zeugnisse der Deregulierung, und nicht jeder zeitgenössischen Äußerung tut die Nähe zum maurischen Kunsthandwerk gut. So wirken Thomas Schüttes „One Man Houses“ unter einer fein ziselierten Gebäudedecke gleich doppelt provisorisch und Liisa Roberts’ Klanginstallation „Sidewalk“ gerät in der kleinen Eingangskapelle schlicht zur Nebensache. An mancher Stelle allerdings fügt sich die bewusste Konfrontation von Raum und Exponat besser. Selbstbewusst passen sich Toba Khedooris sanft gehauchte Zeichnungen und die in sich ruhenden Skulpturen Absalons perfekt in das sakrale Umfeld ein.

Die über 100 Arbeiten von 82 Künstlern zeichnen ein vielgestaltiges Bild der postkolonialen Welt und bedienen sich dabei einer breiten Palette an Medien. „Komplexe Problemlagen erfordern transdisziplinäres Handeln“, sagt Enwezor. Zu Fragen der Ästhetik äußert er sich kurz angebunden; der autonome Kunstbegriff erscheint ihm im geistigen Gefolge Walter Benjamins reaktionär. Nur so viel: „Es ist eine Form, den Protest zu organisieren.“ Paradigmatisch für diese Haltung lässt sich Oliver Resslers Videoinstallation „Alternative Economics, Alternative Societies“ betrachten. Ohne viel Inszenierung formulieren linke Denker und Aktivisten ihre Forderungen für eine bessere Zukunft direkt in die Kamera.

Explizite Positionen finden sich auch am zweiten, nicht minder imposanten Austragungsort der Biennale im Zentrum der Altstadt. Das verwitterte Gewölbe Atarazanas Reales wurde um 1400 für den Schiffbau errichtet. Es ist notdürftig mit Glas und Wellblech überdacht und der Boden mit hellem Sand bedeckt. Am Eingang steht die weiße Marmorskulptur eines skateboardenden US-Soldaten, der fünf Gefangene von Abu Ghraib überspringt. Die spanische Künstlergruppe El Perro eröffnet so die Auseinandersetzung mit Orten außerhalb der Rechtsprechung und abseits öffentlicher Wahrnehmung.

Grenzen werden abgebaut, wo sie den Kapitalfluss behindern, und hochgezogen, wo Exklusivität gefährdet scheint. Viele Arbeiten auf dieser Biennale antworten mit einer Reflexion des eigenen Standorts. Körperlich erfahrbare Installationen sind dabei die Waffe der Wahl. Mit einer fest angebrachten Überwachungskamera hat Tony Labat unwirtliche Parkplätze gefilmt, an denen die Ausläufer der Stadt zugleich den Rand der Gesellschaft markieren. In Alfredo Jaars Arbeit „Geography = War“ spiegeln sich Bilder der „Dritten Welt“ in mit Wasser gefüllten Metallfässern.

Optimismus und Utopie haben ihren Platz in öffentlichen Interventionen, deren Dokumente ins Museum zurückkehren. Das Kollektiv Huit Facettes aus Dakar organisiert Workshops im ländlichen Senegal. Für die Biennale traten die Künstler in Gedankenaustausch mit der italienischen Gruppe Reporting Systems. Das Ergebnis ist „Voyages Croisés“, ein Buch mit Bildern und Texten zur grenzüberschreitenden Kunst.

An der Schwelle zur Sozialarbeit bewegt sich auch Thomas Hirschhorn. Sein Werk „RE“ ist eine kritische Rückbesinnung auf das Projekt „Musée Précaire Albinet“, für das er zwei Monate als Kunst-Missionar in einem armen Pariser Vorort verbrachte. Hirschhorns Arbeit für Sevilla ist eine unübersichtliche Landschaft aus Sperrholz, Plexiglas, alten Sofas und Fernsehgeräten, mit reichlich Lesestoff in den Regalen und auf Zetteln zum Mitnehmen. Ein Glück, dass sehr viel Paketklebeband die Konstruktion zusammenhält, denn so lässt sich leicht der Vogelkot abwischen, der eigentlich nicht zu diesem Ensemble gehört. Doch in der halboffenen Anlage der Atarazanas Reales tummeln sich die Tauben auf den Mauerresten und hinterlassen ihre ätzenden Spuren.

Zum Schutz der Exponate wurde verschiedentlich ein Adlermeister konsultiert – mit dem Resultat, dass noch am Eröffnungstag der Ausstellung gerupfte Federn herumlagen. Alles umsonst, die unerwünschten Eindringlinge ließen sich nicht dauerhaft vertreiben und müssen nun als Symbol der Grenzüberschreitung herhalten.

Weitere Quertreiber stören die politische Kunst. Eine Gruppe Unsichtbarer hat die ganze Stadt und sogar das Auto des Kurators durch Schablonen besprüht. Die Schlusssilbe des spanischen Ausstellungstitels, „Lo Desacogedor“, schrieben die Protestler in „D’or“ um, also „Gold“. Über dem neuen Schriftzug prangt ein kleines Krönchen. Auch so lässt sich diese Veranstaltung charakterisieren: Eine Menge staatliches Fördergeld für eine privilegierte Schar. Andererseits könnte dies der Beginn eben jener öffentlichen Diskussion sein, die Enwezor mit einem Ausspruch postulierte, der sich über die Biennale hinaus anwenden lässt: „Politik ist zu wichtig, als dass man sie den Politikern überlassen dürfte.“

bis 8. Januar, infos www.fundacionbiacs.com