: Der Kongo-Müller in jedem Deutschen
KOLONIALISMUS Theaterdiscounter: Beim Stück „Kongo-Müller“ fällt Rassismus-Kritik grob aus
Ihm ist das Lachen angewachsen. Anders kann man sich nicht erklären, warum Siegfried Müller bei der Schilderung verübter Morde weitergrinst. Die Videoaufnahmen vom lachenden Mann alias „Kongo Mülller“ sind schwarzweiß. Genau wie sein Weltbild, das den brutalen Einsatz des deutschen Soldaten im Kongo zu rechtfertigen scheint.
Der Defa-Film „Der lachende Mann. Bekenntnisse eines Mörders“ von Walter Heynowksi und Gerhard Scheumann, der in den 60er Jahren für Aufsehen sorgte, war fast vergessen. Der Theaterregisseur Jan-Christoph Gockel wählt ihn als Aufhänger für sein Stück „Kongo Müller“ – und lässt sich davon zu einer groben Rassismuskritik verleiten.
Der „Befriedungseinsatz“ des Söldners Siegfried Müller fand nach dem Zweiten Weltkrieg statt. Der ehemalige Wehrmachtssoldat sah darin eine günstige Gelegenheit, seine Karriere als Soldat fortzusetzen. Damit fand auch seine Haltung, die dem Theaterstück auch seinen Untertitel gab – „Und es wird am deutschen Wesen einmal noch die Welt genesen“ –, nach 1945 kein Ende, sondern suchte sich nur andere Ventile.
Videoausschnitte des Interviews wechseln sich in der Produktion mit Reisetagebuchaufnahmen von Jan-Christoph Gockel und Hauptdarsteller Laurenz Leky ab. Natürlich trifft das Zweimannteam im Kongo nicht auf Zeitzeugen Müllers, sondern auf dessen vermeintliche heutige Pendants. Sei es der Leiter des Goethe-Instituts, der sich abfällig über die Zustände und Bevölkerung des Landes äußert, oder der Fußballtrainer Klinsmann, der seine Spieler wie Soldaten aufs Feld schickt. Auch beim Gespräch mit UN-Abgeordneten Martin Kobler findet das Team eine vage Parallele, was seine Motivation anbelangt. „Ostkongo. 20 Jahre Bürgerkrieg, fünf bis sechs Millionen Tote. Die größte, teuerste, erfolgloseste UN-Mission aller Zeiten. Es sind ausweglose Situationen, die mich reizen.“
Leky springt zwischen all diesen Rollen und seiner eigenen. Die Grenzen zwischen dokumentarischem Erfahrungsbericht und Inszenierung verschwimmen. Wie viel Martin Kobler steckt in dessen karikierter Darstellung von Leky? Es geht schnell nicht mehr nur um Kongo Müllers Erbe, sondern um Tourismus, Parallelen zwischen Militär und Sport, Postkolonialismus und positiven Rassismus.
Beim Gedanken daran, dass Gockel das Stück, als es im Theater Rampe in Stuttgart Premiere hatte, in vier Wochen inklusive Kongoreise fertiggestellt hatte, fragt man sich gerade aufgrund der Komplexität nach dem Mehrwert dieses Vorgehens. Es wirkt wie eine Ausweichtaktik aus der Materialschlacht, wenn eine Filmsequenz aus Kongo Müllers Archiv erscheint: Ein Kongolese wird vor die laufende Kamera gezerrt und erschossen. „Wenn wir es hier nicht zeigen, schaut ihr euch das nach der Vorstellung auf euren Smartphones über Youtube an“, kommentiert Leky. Die Differenz zwischen einem Handydisplay und einer Projektion wird ebenso ignoriert wie die Entscheidungsfreiheit des Publikums.
Auch sonst ist in dieser Produktion, so aufklärend sie gemeint sein mag, manches fragwürdig. Sie verwischt nicht nur den Unterschied, ob man sich als heutiger Europäer rassistisch über die afrikanische Bevölkerung äußert oder mit einem Panzer ganze Landstriche ausrottet. Zudem behauptet sie schließlich, die Wurzel aller Gewalt gefunden zu haben. Geplagt von Durchfall und kongolesischer Realität reduziert Leky alles auf die abschließende Erkenntnis, dass Kongo Müller in jedem Deutschen steckt. Das deutsche Wesen hat überlebt.
Das ist zu platt. Und wenn das deutsche Wesen abschließend fast zu einer biologischen Tatsache wird, ist das übrigens auch rassistisch. JUDITH ENGEL
■ „Kongo-Müller“, 30., 31. Mai, im Theaterdiscounter, Klosterstr. 44, 20 Uhr