Kernspaltung im Verfassungsgericht

Klage gegen die Erweiterung des Untersuchungsauftrages für den Ausschuss „Protokollaffäre“ abgewiesen. Richterinnen-Minderheitsvotum: „Die Blickrichtung wechselt“. Opposition: Schärfstes Schwert „abgestumpft“

Im Kern ist sich das Hamburgische Verfassungsgericht einig: Artikel 26 der Hamburgischen Verfassung garantiert einer qualifizierten Minderheit der Bürgerschaft das Recht, zur Kontrolle des Senats einen Untersuchungsausschuss (PUA) einzusetzen, dessen Arbeitsauftrag sie bestimmen kann. Die Regierungsfraktion darf den Auftrag nur verändern, wenn der Kern des Untersuchungsauftrages „nicht berührt“ werde. Doch die Erweiterung des Auftrages des PUA „Protokolläffäre“ bewertet das Gericht uneinheitlich. Die weibliche Minderheit spricht von einem „unzulässigen Gegenangriff der Mehrheitsfraktion“, sieben Richter sehen den „Kern nicht berührt“, sondern nur „um einen Kern erweitert“.

Worum geht es? Aus dem PUA-Jugendknast Feuerberg waren Protokolle von Zeugenaussagen via Bürgerschafts- und Senatskanzlei rechtswidrig an die betroffenen Behörden weitergeleitet worden. SPD und GAL setzten daraufhin einen zweiten PUA „Weitergabe von vertraulichen Protokollen an den Senat“ ein. Als Abgeordnete von SPD und GAL in den Verdacht gerieten, Journalisten mit brisanten Dokumenten gespickt zu haben, konterte die CDU-Fraktion: Sie erweiterte den Untersuchungsauftrag um die schlichten Worte „… und an Dritte.“ Damit befanden sich nun auch Abgeordnete, Fraktions- und Ausschussmitarbeiter sowie Journalisten im Visier. SPD und GAL reichten Verfassungsklage ein.

Die Mehrheit des Gerichts unter Präsident Wilhelm Rapp wies die Klage gestern ab. Der Erweiterungsbeschluss sei zulässig, weil es sich um keine sachliche Verschiebung handele, sondern um eine „Einbeziehung weiterer Fragen oder Personen bei demselben Untersuchungskomplex“ von Senat und Bürgerschaft. Somit sei „der Kern des Auftrages nicht berührt“, da der „Kern der Erweiterung“ mit einem „bestimmten Kern von der Einsetzungsminderheit identisch ist“. Zudem sei die Formulierung „Dritte“ durch die Möglichkeit gestützt, dass Journalisten Protokolle an den Senat weitergeleitet haben könnten.

„Spekulationen“, die „nicht zur Auslegung der Verfassung geeignet“ seien, schreiben die beiden Richterinnen Carola von Paczensky und Hannelore Wirth-Vonbrunn in ihrem Minderheitsvotum. „Die vorgenommene Aufspaltung des Kerns des Auftrages in zwei Kerne“ sei nicht verfassungsmäßig, so die Richterinnen, „da die Blickrichtung des Auftrages wechselt und sich das Untersuchungsthema sachlich verschiebt“.

Auch die Opposition ist über die „schweren Einschnitte“ für Untersuchungsausschüsse enttäuscht. Das „schärfste Schwert“ werde dadurch „deutlich abgestumpft“, erklärten Andreas Dressel, SPD-Obmann im PUA, und GAL-Fraktionsvize Christian Maaß. Es müsse aber akzeptiert werden, dass sich das Gericht „von über Jahrzehnte anerkannten Grundsätzen des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz von Minderheiten in Untersuchungsausschüssen abgewendet hat“. KAI VON APPEN