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Archiv-Artikel

Die Revolution in der Schublade

HAUSBESUCH Mann oder Frau, Bremen oder Berlin, Gärtner oder Tai-Chi: Bei Uwe Marlaine Mädger in Berlin

VON MARLENE GOETZ (TEXT) UND KARSTEN THIELKER (FOTOS)

Berlin, zu Besuch in Uwe Marlaine Mädgers Übungsscheune im Stadtteil Zehlendorf.

Draußen: In einer ruhigen Seitenstraße, zwischen großen Villen, steht das kleine einfache Haus von Uwe Mädgers Mutter. Grünes Gartentor, Hecke und Gardinen aus weißer Spitze hinter den Fenstern. Im Garten dahinter eine ehemalige Lkw-Garage, die zur Übungsscheune umgebaut wurde. Sie ist Uwe Mädgers Projekt. Ein Apfelbaum blüht, über den Rasen sind Gänseblümchen verstreut.

Drin: Auf der Fußmatte ein Ying-Yang-Zeichen, daneben ein handgeschriebener Zettel „Bitte Schuhe ausziehen“ – mit einem Herzen. Der kleine Vorraum („erst vor einem Monat entstanden“) hat hellen Holzboden, einen Teetisch und eine rote Couch. Die dunkelgrünen Wände sind aus einer Mischung aus Erde und Stroh („Alles öko, hat ein Freund gemacht“). Zum Übungsraum führt ein rundes Loch, er hat viele Fenster und duftet nach frischem Stroh. Bodenmatten, Kissen und Bänke an einer Wand, einige Vasen mit Blumen, Skulpturen, Kerzen und Kristalllampen. Viel rot, das Feuer („Ich versuche einen Raum mit den fünf Elementen zu gestalten“). Deswegen auch die Wasserschüsseln vor dem halbmondförmigen Fenster zur Südseite. Er serviert Tee in der Thermosflasche („Ich liebe grünen Tee, Sie?“), Bioschokokekse und Honigwaffeln.

Was macht er? Er bezeichnet sich als „Stadtökologe“ und unterrichtet Tai-Chi („Kein Sportkampf, sondern eine gesundheitsunterstützende Arbeit“). Er nennt sich aber ungern „Lehrer“. Am liebsten gibt er Einzelunterricht mit Erklärungen über die Bewegungen und ihre Wirkung. Nicht wie in China, wo es einfach heißt: „üben“. Da die Übungsscheune nun – nach zwei Jahren Umbau – benutzbar ist, wird er dort Workshops und Kurse anbieten.

Was denkt er? Außer den Restarbeiten in der Übungsscheune beschäftigt Uwe zurzeit am meisten seine Ausbildung als Mediator. „Es ist der gleiche Ansatz wie im Tai-Chi: Die Menschen finden ihre eigene Lösung, ein Mediator moderiert nur.“ Ende des Jahres ist er fertig, dann will er mit seiner Frau Evelyn, die systemische Beraterin ist, auch in der Scheune Beratungen anbieten.

Uwe Marlaine Mädger: Seinen zweiten Vornamen hat er sich selbst gegeben: „Weil ich mich als Frau empfunden habe, was am Anfang nicht einfach war.“ Geboren ist er Anfang 1955 („in der chinesischen Astrologie bin ich ein Holzpferd“) in Zehlendorf. Sein Urgroßvater war dort Bauer, ihm gehörte das Grundstück, auf dem die Übungsscheune steht. Seine Familie wohnte in einer Zweizimmerwohnung in einer Siedlung („wir waren nicht reich“). Sein älterer Bruder ist vor Kurzem gestorben, die Tai-Chi-Lehre half Uwe Marlaine mit der Trauer. Nach dem Abitur wollte er Kunst in Berlin studieren, fing aber ein Studium im Maschinenbau an, wechselte nach einem Jahr zur Meteorologie. Mit zwanzig zog er nach Göttingen und studierte Landwirtschaft („ich bin ein naturwissenschaftlicher Typ“). Seine Diplomarbeit über Mykorrhiza („Die Symbiose zwischen Pilz und Pflanzen“) hätte seiner Meinung nach eine Revolution auslösen können, „aber sie liegt in einer Schublade, weil sie zeigt, wie Pflanzen mit Pilzen ohne Dünger wachsen können, das wollen die Lobbys nicht bekannt machen“. Er engagierte sich bei der agraroppositionellen „Bauernblatt-Bewegung“. Nach dem Studium reiste er nach Afrika, interessierte sich für Entwicklungshilfe, kam nach Bremen. Er blieb 25 Jahre und gründete einen ökologischen Garten- und Landschaftsbaubetrieb mit seiner ersten Frau („Eine Männerdomäne, wir haben damals nur Frauen ausgebildet“). Nach zwölf Jahren stieg er aus, trennte sich und fand im Tai-Chi eine „neue Richtung“. Zu dieser Zeit begegnete er Evelyn, mit der er 2012 nach Berlin „zu den Wurzeln“ zurückkehrte.

Das erste Date: Auf einem Ökomarkt in Bremen. An einem sonnigen Samstag kam er aus einer Unterrichtsstunde „voller Energie, und Evelyn stand plötzlich vor mir“. Uwe Marlaine machte ihr drei Monate lang den Hof. „Evelyn war lesbisch und hat eine Weile gebraucht, um mich zu erkennen.“

Die Hochzeit: „Als wir nach Berlin kamen, war klar, dass wir heiraten.“ Den Abschied von Bremen und die Arbeit am Proberaum haben sie gemeinsam durchgemacht. Hochzeit am 23. Mai 2013, alleine im Standesamt Zehlendorf. Uwe: „Meine Mutter war sauer, als sie es erfuhr, obwohl sie und mein Vater sich auch geheim verlobt hatten.“

Der Alltag: Uwe Marlaine wacht „natürlich früh“ auf und beginnt den Tag mit einer Stunde Tai-Chi und Vipassana-Meditation. Dann frühstücken er und Evelyn, „Zampa: eine erfundene Speise aus frisch gemahlenem Getreide und Früchten, die wir warm essen“. Dann kommt er in die Übungsscheune und kümmert sich um die letzten Bauarbeiten und die ersten Schüler. Zu Mittag bringt er sich etwas zum Essen mit und folgt dann seinem „Kaffeeritual“: an einem schönen Ort – wie dem Schokoladengeschäft am Mexikoplatz oder dem Café am Nikolassee – einen feinen Espresso trinken. Abends kochen sie zusammen.

Wie findet er Merkel? Er suche nichts in der Politik, findet es aber „toll“, dass eine Frau Kanzlerin ist. „Aber sie verkörpert eine Energie, die mir fremd ist.“

Wann ist er glücklich? „Eigentlich immer.“ Es klingt glaubwürdig.

Nächstes Mal treffen wir Traudel und Rolf Schieber in Burbach. Sie wollen auch besucht werden? Mailen Sie an hausbesuch@taz.de