„Sensibles Thema“

UTOPIEN Diskussion über den Film „The Human Scale“ und menschenfreundlichere Städte

■ 48, ist Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bürgerschaftsfraktion und Fachsprecher für Stadtentwicklung.

taz: Herr Kienscherf, lassen sich städtebauliche Trends – breite Straßen, hohe Häuser – umkehren?

Dirk Kienscherf: Hierzulande ist das vielerorts bereits geschehen.

Wie menschenfreundlich ist Hamburg zum Beispiel?

In der Innenstadt hat der Autoverkehr deutlich abgenommen, es gibt mehr Wohnungen und keine Hochhäuser mehr.

Dann braucht die Stadt also gar nicht, was „The Human Scale“ zeigt: eine Planung, die versucht, menschliche Bedürfnisse wieder in den Mittelpunkt zu rücken?

Der Film betrifft in der Tat Weltengegenden mit anderen Problemen – einfach, weil dort Fehler des Westens kopiert wurden. Trotzdem zeigt er auch uns, dass Stadtentwicklung ein sensibles Thema bleibt.

Immerhin haben wir auch Reißbrett-Stadtteile wie Steilshoop geerbt.

Aus Sicht der Planer der 1970er Jahre war Steilshoop „das moderne Leben“. Es gab kaum Autoverkehr in den Siedlungen, man hatte große Freiflächen und viel familiengerechten Wohnraum. Eimsbüttel dagegen galt als familienfeindlich, weil Arbeiten und Wohnen auf engem Raum zusammengepresst wurden.

Was schlagen Sie vor?

Eine Annäherung von Wohnen und Arbeiten. Zurzeit kann ich in Hamm 14 Wohnungen nicht bauen, weil in anderthalb Kilometern Entfernung ein Industriebetrieb ist, der einen Mindestabstand halten muss, falls er nicht wahnsinnige Sicherheitsvorschriften erfüllt. An diese Baunutzungsverordnung müssen wir ran und fragen: Müssen wir gewisse Belastungen einfach mal wieder in Kauf nehmen?

Der Industrie zuliebe?

Nein, ich möchte, dass Stadtteile lebendiger werden. Nur so lässt sich die funktionale Aufteilung aufbrechen. Warum soll nicht mal ein Handwerksbetrieb in einer Wohngegend liegen?

Oder ein Mastbetrieb?

Nein. Das sind Extremfälle. Aber grundsätzlich finden es viele toll, in der Nähe ihres Arbeitsplatzes zu wohnen. Ich persönlich finde allerdings gut, dass ich da, wo ich arbeite, nicht unbedingt wohne.

Und woher wissen Sie, dass die anderen es schätzen?

Aus den Diskussionen etwa um die Mitte Altona, die Hafencity oder mit der Initiative „Recht auf Stadt“. Außerdem kenne ich Investoren aus der IT-Branche, die ihr Büro und ihre Familie gern an einem Ort haben möchten.INTERVIEW: PS

„Der Mensch als Maßstab“ – Vorführung von Andreas M. Dalsgaards Film „The Human Scale“ sowie Diskussion mit Dirk Kienscherf und dem Politologen Peter Hurrelbrinck: 19 Uhr, Lichtmeß Kino