DVDESK
: Hamlet in Hongkong

„Vengeance“ (Hongkong 2009, Regie: Johnnie To, mit Johnny Hallyday, Simon Yam u. a.), ab ca. 16 Euro im Handel

Auf einer Müllhalde zwischen Papierfetzen und -ballen geht es endgültig zur Sache

„Remember me!“, spricht Hamlet senior – als Geist – zu seinem Sohn. Im Befehl zur Erinnerung schwingt der Aufruf zur Rache mit, wenngleich Hamlet junior da so seine Zweifel hat. Erinnern heißt unter den Umständen eines gewaltsamen Todes Rächen, und Rache ist umgekehrt immer die blutigste Form des Erinnerns. Daran zweifelt der Mann namens Costello, den Frankreichs berühmtester Rockstar Johnny Hallyday spielt, keineswegs. Dass er seinen Namen nicht aus William Shakespeares „Hamlet“, sondern aus Jean-Pierre Melvilles „Le Samouraï“ borgt, ist alles andere als ein Zufall. Ursprünglich nämlich sollte sogar Melvilles Costello, also Alain Delon selbst, diese Rolle spielen.

Aus Paris kommt nun aber Hallyday als Costello nach Macao, um die Mörder des Mannes und der Kinder seiner Tochter Irene (Sylvie Testud) zur Strecke zu bringen. Irene hat den Mordanschlag zwar überlebt, ist aber stumm und gelähmt und reagiert, als die Finger des Vaters in der Zeitung auf die Worte „Räche mich“ gleiten, heftig. Costello betreibt ein Edelrestaurant in Paris, als ehemaliger Auftragskiller findet er aber schnell seinerseits drei professionelle Hitmen, die ihm zur Rache verhelfen können und auch wollen, als er ihnen das Restaurant an den Champs Élysées als Vergütung verspricht. Die drei Männer verstehen ihr Geschäft, sind auch schnell auf der richtigen Spur nach Hongkong. Probleme stellen sich dennoch ein, und sie haben mit der Frage des Erinnerns manches zu tun.

Johnnie Tos Mitstreiter und häufiger Drehbuchautor Wai Ka Fai verzichtet ungern darauf, eine Genregeschichte auf den Kopf zu stellen oder mit dem einen oder anderen Twist zu versehen, und darum treibt er die Idee der Rache hier ins Absurde. Costello nämlich trägt, als Erinnerung an frühere Zeiten, eine Kugel im Kopf und verliert fortschreitend sein Gedächtnis. Je größer die Aussicht aufs Gelingen der erinnernden Rache, desto weniger weiß er noch, warum er tut, was er tut. À la „Memento“ schreibt er Namen auf Fotos, der Name des Mordanschlag-Auftraggebers, eines Triaden-Bosses mit Namen George Fung (Simon Yam), steht auf dem Revolver, der diesen zur Strecke bringen soll. So wird aus dem zunächst so klar scheinenden Racheplot mit der Zeit etwas sehr viel Komplizierteres. Melvilles Samurai als Hamlet in einem Hongkong-Action-Ballett mit jeder Erzählökonomie widerstreitenden Umwegen, mit retardierenden Momenten und viel absichtlichem Stillstand, mit seltsamen Arrhythmien und zwei großartigen Shootouts.

Bei alledem freilich sieht der Film, der in Cannes 2009 eher durchfiel, atemberaubend stylish aus. Beim ersten nächtlichen Shootout im Wald wirbeln die Blätter im Wind, sprühende rote Wölkchen markieren Treffer im Dunkeln, und dann geht das Licht aus und es blitzt nur noch ein Schuss hier und da. Blessiert sind hinterher die Helden, zum Teamgeist gehört es, dem Kollegen auch mal eine Kugel aus dem Hintern zu pflücken. Nach der ersten Schlacht ziehen sie weiter, Costello vergisst und vergisst, aber für die drei gedungenen Killer ist es eine Frage der Ehre, ihr Wort zu halten bis in den Tod. Auf einer Müllhalde zwischen Papierfetzen und -ballen geht es für das Trio endgültig zur Sache; dabei wählt To stets eigentümliche Perspektiven, verzögert, nimmt Tempo heraus, statt das dramatische Geschehen zu forcieren.

Form und Inhalt umtanzen einander in zum Schein jedenfalls widersprechenden Bewegungen, und es ist auf Teufel komm raus nicht zu sagen, ob das nun mehr fasziniert oder irritiert. Eine hinreißend bescheuerte späte Geistererscheinung rückt Costello ein Stück Richtung unfreiwilliger (und unfreiwillig komischer) Hamlet, während ihn der eiserne Wille zur Tat, die er selbst nicht begreift, in die Gegenrichtung des vollends absurden unerschütterlichen Actionhelden dreht. Am Ende sitzt er am Tisch und lacht das Lachen eines Manns, der nach blutigen Taten die Erinnerung und die Rache selig aufgibt. Vom rächenden Vater wird er zum Kind unter lachenden Kindern, ein Schlussbild der Unschuld, wenn es je eines gab. EKKEHARD KNÖRER