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Archiv-Artikel

Deutsch lernen riecht lecker

AUS BIELEFELDNATALIE WIESMANN

Savvas hat die Augen geschlossen und sitzt in gespannter Haltung auf seinem Kindergartenhocker. Erzieherin Monika Bachmann hält dem Vierjährigen einen Apfel unter die Nase. „Was ist das?“, fragt sie ihn. Savvas nimmt einen tiefen Atemzug und ruft aufgeregt: „Aaaapfel!“ Bachmann zeigt auf den Stängel: „Wozu braucht der Apfel den?“ „Weil die Apfel am Baum hängt“, sagt eines der anderen Kinder. „Ja, das stimmt, weil DER Apfel am Baum hängt.

Positive Korrektur nennt das Bachmann. Sie wiederholt die Sätze fehlerlos statt die Kinder zu berichtigen. Zwei Nachmittage in der Woche für jeweils zwei Stunden ist die Erzieherin in der Bielefelder Kita „Weltweit“ für die Sprachförderung von Vier- und Fünfjährigen zuständig. Seit 2002 nimmt die vom Deutschen Roten Kreuz betriebene Kita an einem Modellprojekt der Landesregierung teil.

Einrichtungen mit mehr als 50 Prozent an Kindern aus Zuwandererfamilien wurden bereits von Rot-Grün unterstützt. Unter der jetzigen CDU-FDP-Landesregierung laufen die Sprach-Projekte weiter oder werden sogar ausgebaut. Denn spätestens seit dem schlechten Abschneiden der Migrantenkinder bei der PISA-Studie sind sich Politiker aller Couleur einig: Der Erfolg in der Grundschule hängt von der Sprachkompetenz ab. Landesintegrationsminister Armin Laschet (CDU) hat kürzlich die Mittel für Sprachförderung auf 17 Millionen Euro verdoppelt, etwa 66.000 Kindergartenkinder nehmen an Deutschkursen teil. Um Sprachdefizite möglichst früh zu beseitigen, sollen Kinder ab 2007 bereits im Alter von vier Jahren einen Sprachtest ablegen.

In der Kita „Weltweit“ haben 95 Prozent der Kinder eine andere Muttersprache als Deutsch. So auch im Kurs von Erzieherin Bachmann: Savvas und Annas Eltern stammen aus Griechenland, Nisa und Misgin haben einen türkischen Background, Terkyas Eltern sind Syrer. Andreas scheint vergessen zu haben, wo seine Wurzeln liegen: „Türkiesch“, sagt er bei der Vorstellungsrunde, und betont dabei die letzte Silbe. „Aber Andreas, welche Sprache sprichst du denn noch außer Deutsch?, fragt Bachmann erstaunt. „Türkiesch“, wiederholt er mit rollendem R. Bachmann formt die Hände zum Sprachrohr und flüstert ihm etwas zu. Andreas gibt auf: „Russisch“, sagt er schließlich.

„Die Kinder spielen heute ein bisschen verrückt, weil sie Besuch haben“, erklärt Bachmann entschuldigend. Erstaunlich lange bleiben sie aber konzentriert bei der Sache – was wohl auch daran liegt, dass sie das Thema Obst mit allen Sinnen erfassen dürfen. „Fühlen, riechen, schmecken“ heißt die Methode, die den deutschen Wortschatz der Kleinen spielerisch erweitern soll.

Nach dem Riechen kommt das Schmecken. „Ich will, ich will“, rufen vier, fünf Kinder durcheinander, Arme schnellen in die Höhe, alle wollen als als erstes an die Reihe zu kommen. „Lecker“, kreischt Nisa, nachdem ihr die Erzieherin ein Mandarinenstücken in den Mund geschoben hat. „Man-da-ri-ne“, sagt sie. Wenn die Vierjährige lächelt, ist ihre riesige Zahnlücke zu sehen.

Nisa hat große Fortschritte gemacht in den vergangenen zwei Monaten. „Das ist wirklich unglaublich“, freut sich Bachmann. Am Anfang konnte das Kind einer türkischen Studentin so gut wie kein Wort Deutsch. Aber Nisas Mutter tue alles dafür, ihr Kind zu unterstützen.

Der Kontakt mit den Eltern ist Bachmann wichtig. Alle vier Wochen kommen sie mit ihrem Nachwuchs gemeinsam in die Kita. Unter Anleitung von Bachmann stellen sie dann zusammen etwa Knetmasse her und lernen nebenbei die deutschen Begriffe für die Zutaten. Oder sie besuchen gemeinsam mit den Kindern eine Bibliothek und lernen, wo die Sachbücher stehen oder die Märchenbücher. An einem weiteren Nachmittag im Monat erhalten sie Anregungen dafür, wie sie die Sprachförderung ihrer Kinder zu Hause unterstützen können. „Wir geben ihnen Liedertexte oder empfehlen Spiele“, sagt Bachmann.

Nie würde sie jedoch den Eltern empfehlen, in gebrochenem Deutsch mit ihren Kindern zu sprechen – Forderungen, die von manch konservativem Politiker schon gestellt wurden. „Es bringt viel mehr, wenn sie dem Kind helfen, den Wortschatz in ihrer Muttersprache zu erweitern.“

Am Anfang und am Ende des Kurses erfassen die Erzieherinnen den Sprachstand der Kinder. Da sollen sie nicht nur festhalten, ob ein Kind die richtigen Artikel benutzt oder das Verb richtig beugt. Sie sollen auf einer Skala von „nie“ bis „sehr oft“ auch ankreuzen, ob das Kind auf eine deutschsprachige Frage eher antwortet oder eher schweigt. Ob es mit Kindern gleicher Herkunft deutsch oder die Familiensprache spricht. Oder wie oft es von sich aus Buchstaben malt oder fragt, was „da steht“.

Wenn die Kinder am Ende der zehn Monate immer noch Sprachdefizite haben, können sie an einem Aufbaukurs teilnehmen. „Früher fand dieser an Grundschulen statt, aber das ist für die Eltern viel zu aufwändig“, sagt Petra Schlegel, die Leiterin der Kindertagesstätte. Deshalb hat sie durchgesetzt, dass der Kurs in ihrem Haus stattfindet. Das hält Schlegel auch in anderer Hinsicht für sinnvoll: „Da sind die Kinder in ihrer gewohnten Umgebung, kennen die Erzieherinnen bereits.“

Die Landesregierung finanziert die Sprachförderung an der Kita Weltweit nur zum Teil. Ohne finanzielle Hilfe der Sparkasse Bielefeld und einer Bürgerstiftung würde die Unterstützung sehr spärlich aussehen: „Ohne das städtische Engagement könnten wir beispielsweise die Erzieherinnen nicht qualifizieren“, sagt Schlegel. Bachmann und ihre Kollegin, die für weitere zehn Kinder Sprachförderung anbietet, haben an einer sechsmonatigen Weiterbildung teilgenommen. Auch die Sachmittel und die Einrichtung einer Mediothek für die Kinder sei nicht der Landesregierung, sondern den Bielefeldern zu verdanken.

Nachdem die Kinder an diesem Nachmittag das restliche Obst gierig aufgegessen haben, klappt Bachmann das Bilderbuch „Die Raupe Nimmersatt“ auf. Der Klassiker, der seit Generationen in deutschen Bücherschränken steht, eignet sich perfekt für das heutige Thema. Denn die grüne Raupe, die nie genug kriegen kann, steht bekanntlich nicht nur auf Blätter. „Am Montag fraß sie einen Apfel, am Dienstag dann zwei Birnen...“ liest Bachmann langsam und deutlich vor. Die Kinder sprechen teilweise mit, können Textpassagen schon auswendig: „ Mittwoch Pflaumentag, oh, wie sie das mag.“