: Ein Mann sieht rot
AUS ESSEN MARCO LAUER
Der Mann war Millionär. Mehrfacher. Binnen zwei Jahren hat er viel von seinem Vermögen verloren. Doch ist er immer noch zufrieden damit, sehr sogar. Denn genau genommen hat Michael May sein geerbtes Geld nicht verloren, sondern verschenkt.
Fast zweieinhalb Millionen Euro hat Michael May an die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) gespendet. Jetzt steht der Mann aus Moers unter akutem Ideologieverdacht. Wieso spendet jemand sein Erbe an die Kommunisten statt es „sinnvoller“ einzusetzen? Er könnte das Geld arbeiten lassen, auf Bankkonten, in Immobilien anlegen oder Aktien. Könnte es zumindest ans Kinderhilfswerk spenden. Oder Greenpeace. Stattdessen lässt er es nun Dienst tun bei denen.
Man möchte das von ihm selbst erfahren und fährt also hin. Nicht nach Hause, das möchte May nicht. Hat er etwas zu verbergen? Eine Villa vielleicht wie der Salonsozialist Oskar L. aus Saarbrücken? Nein, er wohnt in einer Bergarbeitersiedlung in 47443 Moers am Niederrhein, im Haus seiner verstorbenen Eltern. Roter Klinkerbau, „schön saniert“, aber nicht protzig. Nichts, wofür sich einer schämen müsste, der den Sozialismus lebt.
Treffen auf neutralem Boden also. Essen, Hauptbahnhof, Dienstagmorgen um zehn. An „Ritas Knusperecke“ trinken schlecht rasierte Männer mittleren Alters Kaffee. „Weißte“, sagt der eine, „zum Frühstück nehm ich Kaffe und Zigarettchen. Fertich. Dat reicht mir.“ Der andere nickt in seinen Becher. Die Gesichter der beiden sehen aus, als ob das zweite Frühstück nicht nahrhafter, dafür aber alkoholischer ausfallen wird und ihr letzter geregelter Arbeitstag lange zurückliegt.
Michael May ist noch nicht da, kurze Frage in die Runde. „Arbeitslos, weißte. War mal Berchmann.“ Der andere: „Ich war bei Opel in Bochum.“ Man hört beim Thema Arbeit oft ein „war“ im Ruhrgebiet, öfter als sonst im Westen der Republik, in Duisburg sind fast 20 Prozent ohne Job. Von der Arbeiterklasse, der die MLPD ihre politischen Anstrengungen widmet, existiert hier mancherorts nur noch ein kleiner Rest. Kapitulieren kommt allerdings nicht vor im Sprachgebrauch der deutschlandweit 2.000 MLPD-Genossen. Jetzt sowieso nicht mehr, wo sie einen wie Michael May haben.
Da kommt er. Schneller Schritt, fester Händedruck. „Guten Morgen. Alles geklappt? Und Sie sind jetzt extra wegen mir hier ins Ruhrgebiet gekommen?“ May trägt beige Jeans, Sneakers, einen hellen Ledergürtel und ein modisches, kleinkariertes Hemd. Im Café legt er sein Handy vor sich auf den Tisch – ein neues Modell –, daneben die Autoschlüssel. Er bemerkt den verstohlenen Blick darauf und sagt: „Nur ein Skoda Fabia. Nichts Großes.“ Und nichts Kleines.
May ist kein Bilderbuch-Linker, äußerlich. Aber im Inneren. Geboren 1949, im selben Jahr wie die Bundesrepublik, ist er mit deren politischen Protagonisten selten einer Meinung. 1967 beginnt er in Stuttgart ein Architekturstudium. Sein Vater betreibt damals schon ein erfolgreiches Architekturbüro. Der Kampf um die Rechte des Proletariats ist May wohl nicht in die Wiege gelegt. Vielleicht deshalb nähert er sich der Arbeiterbewegung nicht von unten. Geht zwar in den Bergbau statt ins väterliche Büro, aber nicht unter Tage. Wird Gutachter für die Zechenbetreiber. „Da ging es um die Schäden, die der Berchbau verursachte“, erzählt May. „Und ich musste dann über die Summe verhandeln, die der Hauseichner kricht. Also ich bin überzeucht, dass 99 Prozent über mich gesacht haben: ,Der bemüht sich, fair zu sein.‘ “ Das ist ihm wichtig: Sich nicht gegenseitig „einen reinwürgen wie die großen Strategen da oben in den Chefetagen“.
Während des Studiums politisieren ihn die großen Zerwürfnisse der Zeit: die Notstandsgesetze, der Vietnamkrieg. Später beteiligt er sich an den Massenprotesten gegen den Niedergang der Zechen im Ruhrgebiet. Diese Erfahrung lehrt ihn: Dort, wo wenige viel Macht haben, ist etwas faul, bei den Amis genauso wie bei denen in Bonn. Davon geht er nicht mehr ab.
Und so landen knapp 30 Jahre später 2,5 Millionen Euro bei der MLPD. Weil sich deren Mitglieder nicht haben korrumpieren lassen vom Marsch durch die Institutionen. Wie beispielsweise ein Joschka Fischer. Bei diesem Namen wird May zum ersten Mal etwas lauter: „Für mich hat der einen gescheiterten Lebenslauf“, sagt er über den früheren Außenminister. „Erst tritt er gegen den Vietnamkrieg auf die Straße und dann lächelt er mit George Bush um die Wette, wenn es um Afghanistan und den Irak geht.“ Aber die im Parlament seien sowieso Chamäleons, wechselten Farbe und Überzeugung je nach politischer Großwetterlage und eigenem Vorteil. Dann doch besser das Original unterstützen, die MLPD.
Herrn Mays gute Tat ist nicht ohne Vorbild. Schon Anfang der Siebzigerjahre unterfütterte Tom Koenigs, Sohn eines Bankiers, seine Überzeugungen mit Barem und schenkte sein Vermögen den Kommunisten Nordvietnams. Rechenschaft über den Verbleib der Spende verlangte er keine.
Genauso wenig Michael May. „Ich möchte mir mit dem Geld keinerlei Einflussnahme erkaufen“, sagt er, „das würde meine Überzeugungen über den Haufen werfen.“ Er nimmt einen Schluck Kaffee, setzt die Tasse mit hellem Geräusch wieder ab. „Die Partei soll von unten organisiert werden, von der Masse.“ Das klingt nach Umsturz. Immerhin schreibt der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz in seinem Bericht von 2005, die MLPD habe öffentlich verkündet, dass „die Arbeiterklasse unter Führung ihrer Partei den bewaffneten Aufstand erheben, den bürgerlichen Staatsapparat zerschlagen und die Diktatur des Proletariats errichten soll“.
Ist die MLPD verfassungsfeindlich? Ein stalinistischer Wolf im demokratischen Schafspelz? Michael May lehnt sich über den Tisch, er spannt sein Gesicht so, dass die Augen kleiner werden hinter der randlosen Brille, geht in Lauerstellung. Er versteht den Grund der Frage nicht. „Schauen Sie“, sagt er, „das sind ganz vernünftige Leute dort, die wollen keine Gewalt. Aber soll man denn der Ausbeutung der Arbeiterschaft tatenlos zusehen, während sich die Herren Vorstände bei Siemens wieder 30 Prozent Gehaltserhöhung spendieren?“
Michael May ist kein verbaler Florettfechter, er bevorzugt kurze, einprägsame Argumente. Wie auch bei seinem Auftritt in der Talkshow von Sabine Christiansen. „Es leuchtet mir nicht ein, warum es mir besser gehen soll als anderen“, war die Antwort auf die Frage nach seinen Beweggründen für die ungewöhnlich hohe Parteispende – der höchsten einer Privatperson in der Nachkriegsgeschichte. Respekt dafür hatte Christiansen seinerzeit bekundet. Und damit einen kleinen Skandal ausgelöst. Die innenpolitische Berichterstatterin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Extremismus, Kristina Köhler, fragte entsetzt: „Wer wird als nächstes hofiert? Ein Neonazi, der für die NPD gespendet hat?“
Panik im Zusammenhang mit der MLPD scheint allerdings überzogen. In der Zentrale der Partei im Gelsenkirchener Vorort Horst – dem Zentralkomitee – geht es sehr ruhig zu. Ein paar Parteikader schlurfen in bequemen Schuhen und weiten Pullovern über den Flur. Von revolutionärer Atmosphäre ist wenig zu spüren. Wolfgang Göller, der Geschäftsführer der MLPD, weist auf eine Wand im Flur. Fotos von Michael May hängen da und Zeitungsausschnitte mit Schlagzeilen wie „Kumpel, Kohle, Kommunismus“ oder „Millionen für Marx“.
Man zeigt ihn hier gerne vor, den guten Spender. Geld und Schlagzeilen, etwas Besseres kann einer Partei gar nicht passieren, die bei der letzten Bundestagswahl 0,2 Prozent der Stimmen erhielt. Und wohin fließt das Geld? „In die Ausbildung“, sagt Wolfgang Göller. „Bei uns sind vor allem einfache Leute organisiert. Die müssen politisch auch ein bisschen besser durchblicken, sonst kann man keinen Klassenkampf gewinnen.“ Außerdem will man die Strukturen in Ostdeutschland weiter ausbauen, dort sieht die Partei noch Potenzial.
Ein weiterer Teil des Geldes soll fließen für etwas, das vielen in der Partei am Herzen liegt: die Montagsdemos. Göller selbst führt die in Herten bei Gelsenkirchen an. Ein demonstrierender Trupp, an guten Tagen 60, an weniger guten – bei Regen oder Kälte – nur 30 Leute. Immer montags, nun schon 120-mal in Folge ziehen sie durch die Stadt und demonstrieren gegen Hartz IV, die Regierung und eben: das ganze System. Manchmal keine schöne Sache, weil man doch recht einsam ist in seinem Aufruhr. Trotzdem: „Man muss es tun, um aufzurütteln“, sagt Göller.
Aber der Sternmarsch nach Berlin vor zwei Monaten war endlich mal wieder ein Glanzpunkt. Fast wie vor zweieinhalb Jahren, als einen Sommer lang die Montagsdemonstranten gegen den sozialen Kahlschlag auf die Straßen gingen. Alle kamen zusammen am 3. Oktober, von den Grauen Panthern bis zur Linkspartei. Und fast alle MLPD-Genossen. Michael May lief auch mit („War ne schöne, kämpferische Stimmung.“). Von seinem Geld war vielen Hartz-IV-Empfängern die Anreise aus dem ganzen Bundesgebiet bezahlt worden.
Meint er, man könne mit einer Spende ein ganzes System stürzen? „Nein“, sagt May, „aber ich gebe Ihnen mal ein Beispiel.“ Er lehnt sich vor, räumt seine Tasse zur Seite, stützt die Ellenbogen auf den Tisch. „Wir haben in Deutschland zweieinhalb Millionen arme Kinder. Denen hätte ich allen jeweils einen Euro geben können. Das hätte nichts genutzt. Wenn wir aber einsehen, dass der echte Sozialismus jedem zugute kommt, gibt es keine armen Kinder mehr. Und die MLPD will nichts anderes als den echten Sozialismus.“ Michael May lehnt sich zurück und verschränkt die Arme. „Jo“, sagt er und nickt. Er sieht zufrieden aus. Er hat das Richtige getan, das scheint ihm gerade mal wieder klar zu werden.
Jemand tritt an den Tisch. Lange Haare, Bartgestrüpp, rot unterlaufene Augen. „Haben Sie vielleicht eine Spende für Obdachlose?“ May blickt kurz auf. „Nein danke“, sagt er.