AMERICAN PIE : Schaben auf dem Eis
NHL Die Los Angeles Kings sind dabei, Eishockey in Südkalifornien zu etablieren. In der Finalserie treffen sie auf die New York Rangers
Die Küchenschabe kann in nahezu allen Umweltbedingungen überleben. Selbst ein mittelschwerer Atomkrieg soll ihr angeblich kaum etwas anhaben können. Aber um sich richtig wohl zu fühlen, hat es die Schabe am liebsten dunkel, feucht und warm. Von Eisschaben hatte man deshalb noch nichts gehört. Bis jetzt. Bis zu den Playoffs in der NHL. Bis die Los Angeles Kings sich ins Finale quälten, wo sie heute Nacht zum ersten von maximal sieben Spielen auf die New York Rangers treffen. „Wir sind, sagen einige, ein Haufen Küchenschaben“, sagt Alec Martinez, Verteidiger der Kings, „man wird uns einfach nicht los.“
Schaben, ausgerechnet in Los Angeles. Da, wo die Reichen und Schönen in ewiger Sonne leben. Und dann noch diese bärtigen Typen, die stolz darauf sind, mit Kakerlaken verglichen zu werden. Diese Insekten aber sind die Hauptdarsteller eines Sportmärchens. Die Los Angeles Kings haben mit Geschick, viel Glück und noch mehr Sinn für Dramatik das Finale der besten Eishockey-Liga der Welt erreicht – und sind nun auf dem besten Wege, den Kufensport dauerhaft zu etablieren in Südkalifornien, wo es, glaubt man Albert Hammond, niemals regnet, geschweige denn Schnee fällt.
Dass es so weit kommen konnte, dafür ist der 26-jährige Martinez verantwortlich. Er erzielte im siebten Spiel der Halbfinal-Serie gegen die Chicago Blackhawks das entscheidende Tor in der Verlängerung zum 5:4. Ein, sagen wir mal, eher schäbiges Schüsschen von der blauen Linie, abgefälscht von einem gegnerischen Verteidiger. Ein würdiges Tor für eine Schabe, aber kaum angemessen für ein wildes, hin und her wogendes Spiel, das keinen Verlierer verdient gehabt hätte.
Den Ruf, die Schaben des Eises zu sein, hatten sich die Kings aber schon in den Runden zuvor tapfer erkämpft. Sie sind nicht nur die erste Mannschaft in der 121-jährigen Geschichte des Stanley Cup, die in allen drei Playoff-Serien bis zum Finale die volle Distanz von jeweils sieben Spielen gehen musste. Sie gewannen auch alle Entscheidungsspiele auswärts. Keine guten Nachrichten für den Finalgegner aus New York, der in der Finalserie den Heimvorteil inne hat.
Gewinner, schon bevor die Finalserie begonnen hat, ist bereits die NHL. Mit New York und Los Angeles sind die beiden größten Fernsehmärkte der USA im Finale vertreten. Das Finanzzentrum des Landes tritt an gegen die Entertainment-Kapitale, Wall Street gegen Hollywood. Die Marketing-Abteilungen werden einen Parallelwettkampf austragen und sich darin zu übertreffen versuchen, wer auf seine VIP-Plätze die bekannteren Stars aus Film und Fernsehen, Rock und Rap locken kann.
In den New Yorker Madison Square Garden zu den Rangers gingen die Berühmtheiten schon immer gern, aber im Staples Center in Los Angeles tummelte sich die Prominenz eher bei den Basketball spielenden Lakers. Selbst deren jahrelang vor sich hindümpelnde NBA-Konkurrenz von den Clippers verströmte mehr Glamour als die Kings. Als von 1988 bis 1996 Wayne Gretzky in Los Angeles spielte, begannen die Kalifornier sich zwar für Eishockey zu erwärmen. Die Begeisterung ließ aber schnell wieder nach, als der beste Spieler aller Zeiten verkauft wurde.
Danach versanken die Kings wieder in der sportlichen Bedeutungslosigkeit, erst der Stanley-Cup-Gewinn 2012 erweckte den Klub aus seinem Dornröschenschlaf. Die Zuschauerzahlen sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen, die Einschaltquoten während dieser Playoffs 15 Prozent höher als im vergangenen Jahr. Offensichtlich ist der Klub in der Lage, die Gunst der Stunde zu nutzen. Denn einen Football-Verein des alles beherrschenden Giganten NFL gibt es schon seit Jahren nicht mehr in Los Angeles. Zusätzlich wendet sich nun das erfolgsverwöhnte Publikum auch noch zusehends ab von dem bislang beliebteren Basketball: Die überalterten Lakers schaffen es nicht mal mehr, ihren vakanten Trainerposten zu besetzen. Donald Sterling, der Noch-Besitzer der Clippers, leistet sich einen peinlichen Rassismus-Skandal. In diesem Vakuum eine Nische einzurichten, das sollte kein Problem sein für erfahrene Küchenschaben wie die Los Angeles Kings. THOMAS WINKLER