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Archiv-Artikel

Sieben Minuten für ein Schicksal

Heute entscheidet die Härtefallkommission über die Abschiebungen von Familien nach Afghanistan. Vielen Kindern droht der Schulabbruch und die Rückführung in eine ihnen unbekannte „Heimat“

VON MARCO CARINI

Die Stimmung ist gedrückt. Sieben afghanische Familien haben sich auf Einladung der GAL-Fraktion im Bürgersaal des Hamburger Rathauses versammelt, um über ihre Lebenssituation in Hamburg zu berichten – und darüber, was sie in Afghanistan erwartet. Denn sie alle sollen in ihre Heimat, die längst keine mehr ist, zurück. Und das möglichst schnell: Sie alle stehen auf der Liste der Familien, die die Ausländerbehörde in den kommenden Wochen in einen Flieger nach Kabul verfrachten will. Das Schicksal von drei dieser Familien wird schon heute entschieden, wenn die Härtefallkommission über ihre „Fälle“ und die weiterer afghanischer Familien berät und befindet.

Es sind vor allem die Kinder, die in den ehrwürdigen Rathaushallen das Wort ergreifen. Die Kinder, die keine oder nur noch verwischte Erinnerungen an das Land haben, aus dem sie stammen. Sie sprechen meist besser Deutsch als ihre Eltern, beherrschen aber die Sprache von deren Heimat allenfalls noch im Wort, nicht aber der Schrift.

„Ich müsste in Afghanistan in der ersten Klasse ganz von vorne anfangen“, sagt die 14-jährige Sanaz Sharifzada, die es in ihrer Blankeneser Schule auf einen Notenschnitt von 1,5 gebracht hat und deren Lehrer keine Bedenken haben, dass sie das Abitur problemlos meistern wird. Ihr Bruder Seroos steht unmittelbar vor seinem Hauptschulabschluss. Doch die Familie Sharifzada steht ganz oben auf der Abschiebeliste – auch über sie wird heute die Härtefallkommission entscheiden.

Sanaz’ Vater Ahmad berichtet, wie er und seine Familie über Jahre in einer Flüchtlingsunterkunft leben mussten. Immer wieder versuchte der Familienvater eine Arbeitsgenehmigung zu beantragen, jedes Mal wurde sie ihm verweigert. „Ich habe darum gebettelt, hätte umsonst gearbeitet, nur um irgendetwas tun zu können“, klagt Ahmad. Und auch die anderen Familienväter berichten voll Bitterkeit, wie sie mit dem Wunsch scheiterten, etwas Sinnvolles tun zu dürfen.

Alle Familien, die sich im Rathaus versammelt haben, fallen nicht unter die Bleiberechtsregelung. Manchmal fehlen nur wenige Wochen zu dem gesetzlich festgelegten Stichtag. Afghanistan, das ist ein Land, mit dem sie nur Bürgerkrieg, Not, und Gewalt verbinden. „Wir alle wissen, dass sich Afghanistan im Kriegszustand befindet, das Frauen keine Rechte haben, dass es Zwangsehen gibt und Vergewaltigungen an der Tagesordnung sind“, klagt eine afghanische Mutter.

Die Behauptung, Heimkehrer würden Unterstützung von den Zurückgebliebenen erfahren, bewertet einer als „große Phantasie deutscher Behörden“. Gerade Flüchtlinge, die aus europäischen Ländern zurückkehrten, würden in seinem Vaterland als reich angesehen und seien deshalb ganz auf sich gestellt.

Als „konsequente Anwendung des geltenden Rechts“ bewertet der CDU-Abgeordnete Manfred Jäger die geplante Abschiebung afghanischer Familien, die derzeit kein anderes Bundesland betreibt. Das Wort Humanität fällt nicht. Ohne Einwilligung der Union wird keiner einzigen Familie in der Härtefallkommission ein weiteres Bleiberecht zugesprochen werden.

Sieben detaillierte Einzefallprüfungen, sieben Entscheidungen stehen heute auf dem Programm der Kommission, die wegen anschließender Ausschusssitzungen nur 50 Minuten tagen kann – sieben Minuten für jedes Familienschicksal.