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Knackis bald wie Arbeitslose

Häftlinge sollen in Niedersachsen nach dem Prinzip „Fordern und Fördern“ behandelt werden. Die SPD sieht darin einen „Rückschritt um 30 Jahre“, auch Vollzugsbeamte sind „nicht ganz glücklich“

VON KAI SCHÖNEBERG

„Man kann sich leicht vorstellen, was los ist, wenn die 630 Häftlinge hier in Hameln Weihnachtspakete bekommen“, sagt Martin Kalt. Dagegen, dass alle 6.600 Häftlinge in Niedersachsens Knästen künftig keine Lebensmittelpakete mehr empfangen dürfen, hat der Beamte der JVA Hameln und Vize-Vorsitzende des Landes-Verbandes der Strafvollzugsbediensteten nichts. „Die Kontrollen binden viele Arbeitskräfte“, sagt Kalt. Aber das ist nur ein Detail des neuen Justizvollzugsgesetzes, das die Gefangenen in Niedersachsen künftig stärker an die Kandare nehmen soll. Mit dem sonstigen Entwurf von Ministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) ist Kalt, vorsichtig ausgedrückt, „nicht ganz glücklich“.

Als erstes Bundesland will Niedersachsen von den Möglichkeiten der Föderalismusreform Gebrauch machen, durch die der Bund die Zuständigkeit für den Strafvollzug abgibt. Auch Hamburg arbeitet derzeit an einem eigenen Entwurf, die meisten anderen Bundesländer basteln hingegen an einem abgestimmten Gesetz.

„Wir wollen nicht nur fördern, sondern auch wir wollen auch fordern“, hat die Ministerin wissen lassen und pocht darauf, dass Häftlinge künftig mehr Eigenverantwortung zeigen müssen. Nur bei Wohlverhalten sollen noch Therapie oder Maßnahmen zur Reintegration im „Chancenvollzug“ gewährt werden. Auch Lockerungen gibt es nur noch für Gefangene, die drogenfrei sind. Fesselungen bei Vorführungen sollen erleichtert werden, die Mehrfachbelegung von Zellen soll zulässig sein – nicht nur bei Selbstmordgefahr, sondern auch dann, wenn einfach der Platz im Gefängnis fehlt.

Als „vollzugspolitischen Rückschritt um mindestens 30 Jahre“ wertet die SPD-Justizexpertin Elke Müller diese Pläne. Der „befürchtete Wettlauf der Schäbigkeit“ zwischen den Bundesländern habe begonnen, meint der Grüne Ralf Briese. Und: „Frau Heister-Neumann läuft als Erste durchs Ziel.“

Ihr Entwurf sei nicht schärfer, sondern nur „konsequenter“ als die bisherige Bundesregelung, meint hingegen Heister-Neumann. Bereits ab kommenden Sommer soll das Werk, dass Erwachsenen-, Jugendstrafvollzug und Untersuchungshaft erstmals gemeinsam regelt, gelten.

SPD, Grüne und Vollzugsbedienstete kritisieren insbesondere, dass künftig Resozialisierung und „Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten“ in einem Atemzug genannt werden. „Gerade bei den Jugendstrafen steht für uns die Wiedereingliederung im Vordergrund“, betont der Praktiker Kalt. Er fürchtet, dass durch die Gleichsetzung Ausbildung, Therapien oder Arbeitsmöglichkeiten insbesondere der jugendlichen Knastinsassen eingedämmt werden könnten. Und das letztlich, um Geld zu sparen.

Für problematisch halten die Kritiker auch, dass der geschlossene Vollzug zur Regel erklärt werden soll. Zur Zeit ist in Niedersachsen jeder fünfte Gefangene im offenen Vollzug. „In Dänemark sind es bis zu 80 Prozent“, sagt SPD-Frau Müller. „Dort ist die Rückfallquote aber viel niedriger als hier.“

Auch die Frage, ob zurzeit nicht zu viele Beamte mit Verwaltungsaufgaben gebunden werden, treibt Müller um. Am Freitag will sie deshalb den Suizid eines polnischen Häftlings in der JVA in Uelzen in der vergangenen Woche im Landtag debattieren. Der 27-Jährige war elf Stunden ohne Aufsicht gewesen.

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