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Archiv-Artikel

Fixe Idee, realer Ort

In ihrer „Balkan-Trilogie“ beschreiben René Block und Marius Babias den Balkan als Ergebnis geopolitischen Willens und rassistischer Vorstellungen

Der Balkan ist die Kehrseite des zivilisierten Europas, ist ein per definitionem auf Wanderschaft befindliches Klischee

von INES KAPPERT

Was eigentlich macht „den Balkan“ so faszinierend – zumal für den aktuellen Kulturbetrieb? Kann es sein, dass das Schreckgespenst vom irgendwie ein bisschen barbarischen Anderen im Südosten Europas tatsächlich noch immer Aufmerksamkeit garantiert? Wirft man einen Blick auf die Kunstszene, scheint sich dieser Verdacht zu bestätigen. Allein in den letzten vier Jahren gab es im deutschsprachigen Raum drei prominente Ausstellungen, welche das südöstliche Europa auf seine künstlerische Produktion überprüft und jeweils mit dem Sammelbegriff „Balkan“ vermarktet haben: „In Search of Balkania“ wurde 2002 von Roger Conover, Eda Cufer und Peter Weibel für die neue Galerie Graz kuratiert, Harald Szeemann zeigte „Blut & Honig. Die Zukunft ist am Balkan“ 2003 in der Sammlung Essl bei Wien, und noch im selben Jahr kuratierte René Block für die Kunsthalle Fridericianum in Kassel die Mega-Ausstellung „In den Schluchten des Balkans. Eine Reportage“.

Natürlich ist nichts falsch daran, eine publikumswirksame Plattform für KünstlerInnen zu bauen, die es angesichts ihrer heimischen Kulturpolitik alles andere als leicht haben. Doch legitimiert diese Unterstützungsbestrebung tatsächlich, ganz unterschiedliche künstlerische Positionen zu synthetisieren, wie etwa die Arbeiten einer bereits 1975 nach Amsterdam emigrierten Marina Abramović mit denen des inzwischen in Paris lebenden Anri Sala? Legitimiert sie, KünstlerInnen auf ihren Herkunftsort festzulegen und die historischen wie aktuellen Unterschiede zwischen Städten wie Sofia oder Tirana für unwesentlich zu erklären? Ein der Kasseler Ausstellung angegliedertes Symposium entschied sich für ein klares „Nein!“ und wehrte sich vehement gegen die auch von René Block in Anspruch genommene Identitätslogik.

Der jüngst erschienene und gemeinsam von Block und Marius Babias herausgegebene Katalog „Die Balkan-Trilogie“ nun dokumentiert beides: Die Ausstellung und die Analyse des „Balkans“ als sprachliches Produkt einer aggressiven Geopolitik sowie eines subkutanen Rassismus in einem bestenfalls naiven Kulturbetrieb. Naiv deshalb, weil unüberlegt ein sturzreaktionäres Stereotyp übernommen und durch das eigene Interesse am Fremden und Anderen neutralisiert werden soll.

Den Anfang des Katalogs, der neben aller Ideologiekritik auch einfach einen guten Überblick über die aktuelle Kunstproduktion im südöstlichen Europa gibt, macht ein Bilderessay: Block hat seine Recherchereisen für die Ausstellung dokumentiert. Zu sehen sind unaufgeregte und gut fotografierte Alltagsimpressionen von Land und Leuten, viele Cafés, viele Künstler und Kuratoren in Cafés, viele Gruppenfotos, ab und an findet sich auch der Gebirgszug namens Balkan abgelichtet.

Dann folgt der Textblock: Marius Babias, Boris Buden und der Ljubljaner Soziologe Rastko Mocnik filettieren unerbittlich das Ideologem vom Balkan als einem fixen oder auch nur realen Ort. Der Balkan ist vielmehr der ungeliebte Nachbar weiter östlich; der Balkan ist die Kehrseite des zivilisierten Europas, ist per definitionem ein auf Wanderschaft befindliches Klischee. Und immer dient seine Anwendung der eigenen Identitätsfindung, und zwar indem das oder der Andere abgewertet wird. „Für die Serben beginnt der Balkan im Kosovo und in Bosnien, da Serbien die christliche Zivilisation gegen diese Anderen Europas verteidige“, schreibt Buden und fügt hinzu: „Für die Kroaten beginnt der Balkan im orthodoxen, despotischen und byzantinischen Serbien, da Kroatien ein Bollwerk des Christentums zur Verteidigung der demokratischen Zivilisation sei; Ähnliches gilt für Slowenen, die Österreicher und Italiener.“

Dieser Distinktionsdiskurs kann aber hilfreich sein, so Babias, um die europäische Grenzpolitik zu verteidigen. Menschen, die über keinen europäischen Pass verfügen, werden dann schlicht als kulturell andersartig definiert. Der Balkanismus erlaubt damit praktischerweise, politisch-ökonomische Interessen als mit der Muttermilch aufgesogene Mentalitätsunterschiede zu naturalisieren.

Allerdings, darauf weist wiederum Buden hin, identifizieren sich insbesondere die kulturellen Eliten im südöstlichen Europa inzwischen „problemlos“ mit dieser zugewiesenen europäischen Außenseiterposition. „Solange der Balkanismus eine Eintrittskarte sichert, wird man sich mit ihm auch identifizieren. Bis etwas anderes kommt.“ Grimmig erinnert Buden an die These von Edward Said, dass erst wenn die Orientalen über sich selbst in Begriffen des Orientalen denken, die westliche Vormachtstellung gesichert ist. Wieder mal schnappt die Falle zu: Was Zutritt bringen soll, sichert de facto die Unterwerfung unter die gegebenen Ausschlusskriterien ab. Kein Wunder also, dass in Europa und damit auch im Kulturbetrieb der altgediente Balkanismus aktuell seine Wiederbelebung feiert.

René Block, Marius Babias (Hg.): „Die Balkan-Trilogie“. Verlag Silke Schreiber, München 2006, 448 S., 48 €