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Archiv-Artikel

WARUM WIR EINEN GESELLSCHAFTLICHEN INDIKATOR FÜR NACHHALTIGKEITS-VIBRATIONS BRAUCHEN Brutto-Öko-Gefühlsprodukt 2010

MARTIN UNFRIED

Erst die offizielle Jahresrückblick-Version: Wirtschaft brummt! Seht nur das Bruttosozial- und Bruttoinlandsprodukt, hört den IFO-Geschäftsindex, das Börsenbarometer. Sie verkünden Euch, den Deutschen, zum Jahreswechsel das Glück der Tüchtigen. Die frohe Botschaft des Kapitalismus mit menschlichem Exportüberschuss. Verkünden Euch, was Ihr noch vor wenigen Monaten zu hoffen nicht hättet gewagt. Euch geht es blendend. Spitzenmäßig. Ihr habt allen Anlass zum Mega-Optimismus für 2011!

Ist natürlich alles Quatsch. Aber diese irre Botschaft habe ich bei meiner Reise durch Wirtschaftswunder-Deutschland letzte Woche immer wieder gehört und gelesen. Da war ich beinahe traurig, am vermeintlichen Glück nicht wirklich teilzuhaben. Ich gehöre nämlich nicht zu Eurem „Wir“. In Maastricht lebe ich als Wahl-Kaaskop in einem anderen „Wir“-Universum. Wen’s interessiert: Unser Rück- und Ausblick in NL war weniger positiv, wegen „Crazy-Wilders“ und so.

Lustigerweise wird nationaler Wohlstand in der Post- und Ante-Krise wieder fieberhaft an Steinzeit-Indikatoren gemessen, die wenig aussagen über die Lebensqualität in einem Land. Schon gar nicht über globale Verträglichkeit, Zukunftsfähigkeit und Krisenresistenz. Insofern war der Winter Zucker: viel Schnee, viel Unfall, viel Blechschaden, viel Kopfverletzung, viel Tod. Super für Salz-, Auto-, Kranken- und Bestattungsbranche, also gut fürs Wachstum.

Wir waren schon mal an einem Punkt, wo klar war, dass derlei Katastrophen mit Wohlstand nichts zu tun haben. Genauso wenig wie der Exportboom von Steinzeit-Autos nach China und steigende Gewinne bei Atomkonzernen. Aber was höre ich da aus Berlin: Während sich die Regierung lecker im Inlandsprodukt suhlt, bastelt der Bundestag in einer Enquete-Kommission wieder mal an einem neuen Wohlstands-Indikator.

Das ist sehr löblich und da möchte ich auch das volle Ökosex-Knowhow zur Verfügung stellen. Ich plädiere seit Jahren für einen Indikator für Ökovibrations, eine Art „Ökogefühlsprodukt“. Die Energiewende wird nämlich nur gelingen, wenn positive Ökogefühle in der Gesellschaft in den Himmel wachsen. Und da war 2010 leider Nullwachstum angesagt.

DIE FüNFTAGEVORSCHAU | KOLUMNE@TAZ.DE

Mittwoch Kübra Yücel Das Tuch Donnerstag Matthias Lohre Männer Freitag Arno Frank Geräusche Montag Barbara Dribbusch Gerüchte Dienstag K.-P. Klingelschmitt Älter werden

Einige Beispiele: 1. Die Ökovibrations deutscher Oberbürgermeister sind immer noch unterirdisch. Sie fahren Spritschleudern und fühlen sich gut dabei (siehe Zeit). 2. Die Opposition im Stuttgarter Untersuchungsausschuss interessierte das Artenschutzrecht nicht. Warum? Weil sie zu Recht glaubten, das Eintreten für den Juchtenkäfer löse Anti-Naturschutz-Gefühle aus. 3. Wenige haben Freudentränen geweint über den Ausbau der Fotovolatik 2010. Weil ich es tat, haben mich viele taz-LeserInnen sogar schwer kritisiert. Keine PV-Gefühle nirgends! 4. Die Boulevardpresse verlässt sich immer noch zu Recht auf die Brumm-Brummgefühle der Berliner und proletet gegen Tempo 30.

Ein 3,5-%-Wachstum des Ökogefühlsproduktes sähe hier so aus: Die Volksseele kocht 2011, wenn wieder Radwege blockiert werden mit miesem Autofahrer-Schnee.