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Archiv-Artikel

Mit der „Bravo“ kam die Befreiung

GESCHICHTE Das Schulmuseum hat eine Projektarbeit zu „Kindheit und Jugend 1945–1960“ organisiert

Von KAWE
Über die Nazizeit erfuhren die Schüler der 1950er-Jahre nichts, nichts in der Schule und nichts Zuhause

Wie war das, als die eigenen Großeltern noch Kinder waren? In einem groß angelegten Projekt „forschenden Lernens“ haben sich 30 Schülergruppen in den vergangenen zwei Jahren mit dem Thema „Jugend in den 1950er-Jahren“ beschäftigt. Herausgekommen sind eine Ausstellung in der Unteren Rathaushalle und ein Begleitbuch. Als gestern ein „älterer“ Herr mit Kopfhörer vor dem Ausstellungsstand „Rock ’n’ Roll“ stand und vor sich hin swingte, da war klar: Das Thema kommt auch bei den Betroffenen an.

Die Rohrstock-Pädagogik war nach dem Ende der Nazizeit auch in Bremen verbreitet – das haben die Großeltern ihren Enkeln erzählt. Johanna Haarer, deren Buch „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ (1934) zum Lehrbuch der NS-Frauenschaft wurde, war auch in den 1950ern eine gefragte Ratgeberbuch-Autorin, wie im Begleitbuch zu erfahren ist. „Erreicht die Prügelstrafe ihren Zweck?“ war das Thema der Blätter über „Erziehungsnöte“. Nur wenige knüpften in Bremen an die Traditionslinien der Reformpädagogik an. Immerhin stammt aus jener Zeit der Schulneubau in Habenhausen, in dem es „Klassenkreise“ gab und die Idee von der „Schulwohnstube“ – sogar Tischgruppen zeigen die alten vergilbten Fotos, die in der Ausstellung zu sehen sind.

Über die Nazizeit erfuhren die Schüler der 1950er-Jahre nichts, nichts in der Schule und nichts Zuhause. Da wuchs eine „skeptische Generation“ Jugendlicher auf, wie der Soziologe Helmut Schelsky sie später nannte. Der Psychoanalytiker Horst-Eberhard Richter beschrieb sie in dem Buch „Eltern, Kind und Neurose“ von 1962.

Die Lockerung, heißt es im Buch, setzte erst Mitte der 1950er-Jahre ein. Mit „Bravo“ gab es ein Magazin, das – als „Zeitschrift für Film und Fernsehen“ gegründet – ohne volkserzieherische Scham auf die US-amerikanische Musikkultur setzte und überhaupt auf das, was kommerziell erfolgreich war. Der Rock ’n’ Roll brachte die Befreiung von den moralisch-pädagogischen Nachwirkungen der NS-Zeit für eine Generation, die froh war, davongekommen zu sein und die für Politik nur das „ohne mich“ übrig hatte.  KAWE

„Hunger – Demokratie – Rock ’n’ Roll“, bis 29. Juni, Untere Rathaushalle. Begleitbuch „Kindheit und Jugend 1945–1960“ bei Temmen, 14,90 Euro