Anwesenheit des Abwesenden

FIGURENTHEATER „Mensch, Puppe!“ geht mit seinem neuen Stück neue Wege: „Ausencia/Abwesenheit“ vereint Tanz, Figurentheater, Musik und Geschichte

Die lebensgroßen Puppen von Anna Siegrot repräsentieren in ihren Begegnungen mit dem Tänzer eine Art „Anwesenheit des Abwesenden“

VON ANDREAS SCHNELL

Es ist dunkel auf der kleinen Bühne, ein Radio spuckt still und heiser Tangoklänge aus, vor der Bühnenrückwand steht ein schwarzer Paravent – und dann kracht plötzlich ein Stapel Stühle in die relative Ruhe.

Es sind die Geister der Vergangenheit, die im Folgenden den Mann (Tom Bünger) besuchen, der versucht, in diesem unheimlichen Raum seinen Platz zu finden, eine Haltung zu dem, was offenbar seine Vergangenheit ist. Ein kleines Kind krabbelt da (geführt wie die anderen Figuren von Leo Mosler) durch den Raum und verschwindet so plötzlich, wie es erschienen ist. Ein alter Mann humpelt daher, in Erinnerungen schwelgend und sich in Tango-Rhythmen (Klavier und Bandoneon: Alexander Seemann) wiegend. Eine rätselhafte Frau in Rot wartet – vergebens. Sie sind Repräsentanten der Verschwundenen, die in den Jahren der argentinischen Militärdiktatur zwischen 1976 und 1983 verschleppt wurden, aus politischen Gründen vor allem, aber wohl nicht selten auch – derlei verselbstständigt sich bekanntlich – Opfer persönlich motivierter Denunziationen.

Verschwundene blieben sie – gefoltert, ermordet. In ihrer Abwesenheit bleibt allerdings etwas von ihnen, was sich mit Erinnerung nur teilweise fassen lässt. Schließlich hinterlassen sie mehr als nur das. Dieser Substanz des Abwesenden spürt Henrike Vahrmeyers Inszenierung nach. Die Idee für das Stück kam von Thomas Bünger, lange Mitglied von Urs Dietrichs Bremer Tanzcompagnie, der dazu von einem Buch des Fotografen Gustavo Germano inspiriert wurde. Die von Mosler geführten und gesprochenen, lebensgroßen Puppen von Anna Siegrot repräsentieren in ihren Begegnungen mit dem sprachlosen Tänzer eine Art „Anwesenheit des Abwesenden“.

Und schließlich taucht auch noch der Tod selbst auf, sozusagen als Femme fatale, wenn auch als reichlich klapperige. Ihre Erinnerungen an Buenos Aires sind nur die besten – des Tangos und der Cafés wegen. Aber auch, weil hier der Tod einst hoch im Kurs stand, sozusagen. Eine beklemmende Szene, die Seemann eindrucksvoll musikalisch ausmalt, indem er sein Klavier innen bespielt. Aber dann muss die makabre Dame weiter. Als Tod hat man schließlich immer zu tun. Zurück lässt er unseren Verlassenen, dem am Ende lediglich bleibt, die vielen leeren Stühle geradezu enervierend pedantisch in Reih und Glied zu stellen, als Verlängerung der Zuschauertribüne und damit als nachvollziehbare Repräsentation der Abwesenheit.

Eine bemerkenswerte Arbeit, die, wie schon vorherige Produktionen von „Mensch, Puppe!“, verschiedene Genres in Berührung kommen lässt und daraus eine neue Form gewinnt, deren Gelingen sich auch dem hohen Niveau der Akteure verdankt.

Alles im Lot also? Ein Blick hinter die Kulissen ergibt ein etwas problematischeres Bild. Immerhin 50 Prozent Auslastung konnte „Mensch, Puppe!“ im ersten Jahr aufweisen, Tendenz steigend. Und es gibt neuerdings sogar institutionelle Förderung für die Truppe. „Es ist toll, dass wir diese Förderung nach so kurzer Zeit bekommen haben“, betont Mosler. Die wirtschaftliche Lage von „Mensch, Puppe!“ bleibe allerdings prekär. Henrike Vahrmeyer sagt, die 30.000 Euro von der Stadt retteten das Theater über den Sommer. Allerdings sei ein weiterer Antrag auf investive Mittel abgelehnt worden. Die brauche man eigentlich, um sich eine angemessene Technik zuzulegen. Ein Engpass, den „Mensch, Puppe!“ unter anderem durch Leihgaben anderer Einrichtungen wie der Bremer Shakespeare Company oder dem Theater Bremen überbrückt.

Das Problem ist allerdings auch strukturell bedingt: Das Theater in der Schildstraße fasst maximal 50 Zuschauer. „Wir schauen nach größeren Räumen, in denen wir Projekte wie das Große Lalula umsetzen können“, erklärt Claudia Spörri. Auch die Bühne habe ihre Grenzen, ergänzt Mosler.

Am kommenden Wochenende spielt „Mensch, Puppe!“ im Rahmen der „Theaterlust“ im Licht-Luft-Bad. Eine gute Werbung, aber eine teure. Immerhin: Einen Förderverein gibt es schon, derzeit zählt er schon 80 Mitglieder. Aber es bleibt prekär.

Erst mal heißt es allerdings: „Weitermachen!“ Im September folgt eine weitere ambitionierte Neuproduktion: Einakter von Tschechow stehen dann auf dem Programm. Geplant ist auch eine Wiederaufnahme der sonntäglichen Matineen mit Lesungen.

■ „Ausencia/Abwesenheit“: Samstag (heute), 20 Uhr, Samstag, 13. 6. und Samstag, 21. 6., jeweils 20 Uhr; „Mensch, Puppe!“ im Theaterkontor; „ Mensch, Puppe!“ auf der „Theaterlust“: Freitag, 13.6. bis Sonntag, 15. 6., Licht-Luft-Bad www.menschpuppe.de