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Archiv-Artikel

„Ich sage ganz leise, ich bin optimistisch“

BLICK IN DIE ZUKUNFT Der Journalist Klaus Hartung (70) war lange taz-, später „Zeit“-Redakteur. Heute widmet er sich der Malerei. Für die kommende Dekade wünscht er sich vor allem bürgerschaftliches Engagement

Mein Hauptwunsch für die nächsten zehn Jahre ist einfach: Schmerzfreiheit. Das heißt auch, dass ich die Trainingsprogramme hinkriege, die mir meine wohlgesinnten Freunde verordnet haben. Wenn ich das schaffe, kann ich mir nur wünschen, dass alles bleibt, wie es ist: meine Lust an der Malerei und der wachsende Erfolg meiner Arbeiten, meine Lust am Schreiben und die Verwirklichung der Buchprojekte und die Freude am Reisen mit meiner Frau. Im Übrigen hoffe ich, dass meine drei Töchter weiter so energisch ihre Karriere vorantreiben, wie sie es jetzt tun.

Mein Denken, Schreiben und Malen hat viel mit meiner Stadt, Berlin, zu tun. Ich versuche nicht nur, die Tradition realistischer Stadtbildmalerei weiterzuführen. Ich habe auch das Gefühl, dass ich an einer historischen Wende teilhaben darf. Eine Renaissance ist vorstellbar: Berlin wendet sich seiner vergessenen historischen Mitte zu. Bürgerschaftliches Engagement wächst. Mein Traum, das verloren geglaubte Stadtbild kehre mit der Rekonstruktion des Schlosses und den Konturen der Altstadt wieder, nähert sich der Verwirklichung. Die Berliner stehen vor einer großen Herausforderung: Es reicht nicht mehr, Einwohner des Bundeslands zu sein, sie müssen Bürger ihrer Stadt werden. Wer entscheidet über das historische Erbe? Das können nicht Senat oder Parteien sein. Das letzte Wort muss die Bürgerschaft haben.

Bürgerschaftliche Verantwortung wird das große Thema der nächsten zehn Jahre sein. Dazu gehört neben dem Umgang mit dem Erbe der Umgang mit dem Gemeinwesen. Die Stadt kann sich das Fortwuchern des Sozialstaats nicht mehr leisten. Hier braucht es Maßstäbe. Aber wenn es um das Maß der Verantwortung für das Gemeinwesen geht, muss sich die Bürgerschaft artikulieren. Bislang war Berlin eine Mischung aus Kiezprovinzialität und sozialstaatlicher Daseinssicherung. Das machte es attraktiv – und bequem. Jetzt sollten die Berliner nicht mehr fragen, was der Staat Berlin für sie tun kann, sondern was sie für die Stadt Berlin tun können. Die Chance einer Renaissance Berlins wird ohne bürgerschaftliches Engagement verspielt.

Auch in der Politik wünschte ich, dass alles bliebe, wie es ist. Ich halte nichts von großartigen Utopien. Sie sind blind für eine Gegenwart, die doch eigentlich für uns zufriedenstellend ist. Ich habe Angst, dass wir in zehn Jahren zurückblicken und mit Bitterkeit sagen: Es war das goldene Zeitalter, nur wir haben es mit Missmut verspielt. Unsere privilegierte Existenz können wir nur aufrechterhalten, wenn wir uns als Bürger engagieren. Es reicht auch nicht, die historische Silhouette teilweise wiederherzustellen. Der Bürger muss sich beteiligen, ja er hat Grund, sich dafür zu begeistern. Zusammengefasst: die Renaissance Berlins, eine balancierende, den Wohlstand erhaltende Politik und der Enthusiasmus der Bürger, all das halte ich für möglich, erwarte ich und sage deshalb ganz leise, ich bin optimistisch für die nächsten zehn Jahre. PROTOKOLL: C. BERGER Foto: privat