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Archiv-Artikel

Strahlengift in der Erzbergerstraße

Polizei findet in einer Wohnung in Ottensen das radioaktive Gift, das den Kreml-Kritiker Alexander Litvinenko ums Leben brachte. Geschäftspartner des ehemaligen Geheimdienstlers hinterließ davon Spuren bei seiner Ex-Frau

Vom Weihnachtsmarkt in der Ottenser Hauptstraße aus ist am Freitagabend ein internationaler Agententhriller zu sehen. Den Glühwein in der Hand beobachten die Besucher ungerührt, wie Polizeiautos in die 100 Meter entfernte Erzbergerstraße einfahren. Absperrband wird ausgerollt. Herren in Schutzanzügen steigen aus Wagen mit dem Kennzeichen Salzgitter. Was denn hier los sei, will eine Anwohnerin wissen. „Das erfahren Sie morgen aus der Presse“, antwortet ein Beamter.

Das Aufgebot dient der Aufklärung des Mordes an Alexander Litvinenko, dem Kreml-Kritiker, der am 23. November an einer Vergiftung mit dem radioaktiven Isotop Polonium 210 gestorben ist. Den Stoff suchen die Beamten mitten in Ottensen.

Die Hamburger Polizei hatte festgestellt, dass einer von Litvinenkos Geschäftspartnern, Dimitri Kowtun, in der Erzbergerstraße 4 gemeldet war. Der 41-Jährige hatte Litvinenko am Tage seiner Vergiftung zusammen mit dem russischen Ex-Agenten Andrej Lugowoi getroffen. Beide befanden sich am Freitag in einer Moskauer Strahlenklinik. Einer Meldung der russischen Nachrichtenagentur Interfax zufolge ging es Kowtun so schlecht, dass er ins Koma fiel.

Der 41-jährige Firmenberater hat im Erdgeschoss des gründerzeitlichen Wohnhauses eine Wohnung gemietet. Seine geschiedene Ehefrau Marina W. und ihre gemeinsame Tochter bewohnten eine weitere Wohnung. „Wir haben die Frau angesprochen, als sie das Haus verließ“, sagte Kriminaldirektor Thomas Menzel, der Leiter der Sonderkommission für den Fall. Die Frau sei im Polizeipräsidium befragt worden, während die Hamburger Polizei das Bundeskriminalamt informierte und die Zentrale Unterstützungsgruppe des Bundes für nuklearspezifische Gefahrenabwehr in Hubschraubern einfliegen ließ.

Die Geigerzähler der Strahlenschützer schlugen in Kowtuns Erdgeschosswohnung nicht an. Nach Erkenntnissen der Ermittler hat er sie seit Jahren nicht mehr benutzt. Dafür zitterten die Zeiger in der Wohnung seiner Ex-Frau. Kowtun hatte hier in der Nacht vor dem Treffen in London übernachtet, offenbar auf dem Sofa. Die Frau selbst ist nicht kontaminiert.

Die Polizisten und Strahlenschützer sind jetzt dabei, die Wohnung und das Treppenhaus haarklein zu untersuchen. Die 30 BewohnerInnen der Erzbergerstraße 4 wurden deshalb gebeten, zu Freunden und Verwandten zu ziehen oder sich unterbringen zu lassen.

Ausziehen musste auch Kowtuns Schwiegermutter. In ihrem Haus in Haselau im Kreis Pinneberg fanden die Ermittler an zwei Stellen ebenfalls radioaktive Strahlung. Das Gebäude wurde versiegelt. In einer verdächtigen Wohnung in der Kieler Straße in Altona fand sich dagegen keine Radioaktivität.

Polizeipräsident Werner Jantosch versicherte, dass „für die Bevölkerung keine Gefahr der Verstrahlung“ bestehe. Der Stoff sei nur gefährlich wenn er eingenommen werde oder in offene Wunden gelange. Trotzdem hat die Innenbehörde unter der Nummer ☎ 428 86-550 ein Bürgertelefon eingerichtet. Die Nummer für Hinweise (☎42 67 65) sei bis gestern Mittag 13-mal angerufen worden, sagte Menzel. Vier Anfrufer hätten behauptet, sie hätten Kontakt mit dem Geschäftsmann gehabt.Gernot Knödler, Andreas Speit

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